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Mittwoch, 4. November 2015

Härchen

Es ist schon fast alles beim alten. Nur ist es komisch in den Spiegel zu schauen und kaum Augenbrauen zu sehen. Noch immer nicht. Einen Stift zu nehmen und mir einen zu malen, wie es doch so viele tun, ist mir fremd. Manchmal mache ich es trotzdem, denn ich glaube, dadurch werde ich mich wieder Ganz fühlen. Restauration, sozusagen. Dann vergesse ich aber tagsüber, dass ich mir Augenbrauen gemalt habe und wenn ich mein Gesicht reibe - was ich anscheinend ständig tue - reibe ich meine Augenbrauen halb ab oder verschmiere sie auf meiner Stirn. Ein lächerliches Problem und trotzdem. Diese Augenbrauen stehen nicht nur für Haare, die einem über den Augen wachsen, sondern für meine Identität. Sie bedeuten die Zeit mit meinen Freunden, das viele Lachen, die Capuccinos und Caffe Lattes, sogar die Kotzerei, die am Ende der tollsten Parties folgte und sie sind die Küsse, die ich vergessen habe zu küssen und die anderen Küsse, die ich überflüssigerweise geküsst habe und die Brücken, die Stadtteile aneinander haftete und auch sind sie alles, was mit Unbeschwertheit und Unsterblichkeit zu tun hatte. Und ich habe sie auch noch gezupft! Das würde ich heute nicht mehr tun...

Die Augenbrauen, die meine Studienkollegin immer beneidete. Die mir jeden Tag, wenn wir uns an der Uni getroffen haben, sagte, dass ich die tollsten Augenbrauen habe und meine Tante, die es ebenfalls bei allen unseren Begegnungen bemerkte. Und für mich war es damals natürlich und ein blöder stolz kam in meinem Bauch hoch, aber zwei Sekunden später habe ich es schon vergessen. Heute fallen sie mir jeden Tag ein. Jeden Tag, in der Früh im Spiegel schauend, Zähne putzend, sogar wenn ich in der Arbeit auf Klo gehe. Jedesmal schaue ich mich im Neonlicht an, beuge mich nah an den Spiegel heran und zähle die kleinen Haare, die kommen. Ich frage C. jede Woche: Ich habe schon mehr, oder? Und er sieht in mein Gesicht und fährt mit seinem Finger drüber. Ja, doch ,ja - sagt er euphorisch und wir freuen uns gemeinsam über jedes Härchen, dass stärker als die anderen ist, dass schwärzer als die anderen ist und an diesen Härchen halte ich mich fest.

Dienstag, 31. März 2015

Stürmisch, aber Frühling

Stürmisch, aber Frühling (©Steve_F (wikimedia_commons))
Das kann mir keiner mehr wegnehmen: Der Frühling ist da. Draußen in der Natur, auf den Bergen, in den Gärten und auf meiner Haut, auf dem Kopf in den Augen, sogar an den Beinen. Es sprießt wieder. Es kommt wieder und noch nie habe ich mich über kleine Härchen hier und dort gefreut, wie zu dieser Zeit. Obwohl es jetzt im Fenster aussieht, die Welt würde wegen dem aktuellen Sturm untergehen, zwitschern irgendwelche Vögel am Parkplatz und pfeifen aufs Wetter. Und ich mit ihnen.

Ich bin heute auch beim Bodypainting gewesen. Zwei Krankenschwestern haben mich angemalt, mit roten Stiften und es hat gekitzelt. Also habe ich gekichert. Obwohl ich halbnackt in einer Röhre unter Neonlicht lag, habe ich gekichert. (Übrigens juhuu, die gentests* sind negativ geworden). Jetzt kommen sechs Wochen Bestrahlung, mit Startschuss 14. April. Das ist ein bisschen nervig. Das sie mir keinen früheren Termin geben können. Es nervt, weil ich jetzt zwei Wochen echt auf meine Linien aufpassen muss. Auf die Linien, die roten, die mir die kleinen, blauen Krankenschwestern kreuz und quer über die Brüste gemalt haben. Diese Linien muss man behalten, sie hüten und wenn sie verschwinden wollen, muss man ins Krankenhaus laufen, damit sie wieder nachgezeichnet werden. Bitte, kommen sie auf alle Fälle. Hat der Arzt gesagt, der mich an meinen Schwager erinnert. Blasse Haut, Brille, weißer Kittel, warme Hände, groß. Er spricht sehr langsam. Als ob er jedes Wort noch einmal überlegen müsste, bevor er sie wirklich sagt. Als ob es ihm überhaupt nich auffallen würde, dass er zu langsam redet. Vor allem, wenn man halbnackt ist, im Neonlicht steht, mit der Hand auf der Klinke um sich in der Umkleide wieder anzuziehen. Dann spricht er definitiv viel zu langsam. Nicht nur dass man dabei friert, auch fällt einem ein, dass man – obwohl man eine Glatze hat und mit einem Stift angemalt wurde – noch immer eine Frau ist und vor einem Mann steht der angezogen ist und sich noch paar Mal überlegt, ob er mir den Termin sagen soll oder nicht. Dann habe ich ein bisschen gewartet, mich aber letzendlich angezogen und mir im Flur den Termin geben lassen, mit dem ich danach in den Sturm hinausspaziert bin. Es ist stürmisch auch bei mir. Aber Frühling. Und das gehört nun wirklich-wirklich mir, mit ihren zwitschernden Vögeln, den Knospen in den Parks und den langen Tagen.

* zum gentest in kürze: Zwei Monate habe ich auf die Gentests warten müssen. Gentests um zu zeigen ob ich eine Genmutation habe, die für den Brustkrebs verantwortlich gemacht werden kann, oder nicht. Das ist nicht obligatorisch, man kann es machen oder auch nicht. Die Genmutationen, die sie bei so jungen Frauen testen, heißen BRCA1 und BRCA2, bzw. Chek2. Wenn diese positiv sind, hat man ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, dann wird empfohlen die Brüste präventiv zu amputieren. Und das ist noch die harmlosere Genmutation! Die andere Genmutation trägt den Namen TP53 – wenn dieser im Genpool präsent ist, bedeutet das eine 100 prozentige Krebserkrankung – und zwar kann das überall im Körper auftreten. Dazu kann man präventiv keine Behandlungen durchführen. Also in beiden Fällen, heißt das für mich AUFATMEN – ich habe Brustkrebs nicht vererbt bekommen und kann es auch nicht weitervererben. Juhuhuuuuuu!

Dienstag, 13. Januar 2015

Ein Tag weniger

Meine Tage sind langweilig und niemand kann mir die lange Weile abnehmen. Die Stunden spuren wie Schnecken vor sich hin. Jedesmal versuche ich die Zeit dabei zu erwischen, dass sie schneller geht. Tut sie aber nicht. Sie sitzt in den Ecken, knabbert am Staub, fließt in den Rohren des Kühlschrankes, hört sich wie ein startendes Flugzeug an, dass viel zu langsam rennt und deswegen nicht abheben wird. Ich schaue Serien auf Netflix. Orange is the new black. Auf Englisch. Ich verstehe kaum was. Schaue aber stundenlang zu, wie weiß die Zähne von "Piper" sind oder wie mich "Alex" gleichzeitig an eine alte Freundin und an meine Exstiefmutter erinnert und derweil muss ich nicht nachdenken. Nicht zeigen, wie stark ich bin, wie gut ich das meistere. Ich sitze einfach im Sessel und lasse mich in den Bildschirm ziehen, mich aus meiner Haut fallen, die Hände hängen hinunter, der Fuß ist am Stuhl und ich denke daran, auch dieser Tag muss dann irgendwann zu Ende gehen. Auch in meinem Fenster muss der Abend erscheinen, auch hier wird er kommen und dann ist es ein Tag weniger. Nur weiss ich nicht, für was es ein Tag weniger wird?

Dienstag, 6. Januar 2015

Madonna

Am Bus zum Krankenhaus nimmt C. die kleine TT in die Hand. Blättert darin, Skispringer, Kleinanzeigen, Nachrichten, auf der letzten Seite endlich die Tabloide mit einem Bild von Madonna. Wir sehen uns ähnlich: Kleine Augen, geschwollene Backen – ihre von Botox, meine von der Chemo. Die Therapie hat mein Gesicht neugemalt. Ich erkenne mich kaum im Spiegel und wenn ich die Bilder der ersten Therapiesitzung mit heute vergleiche vergeht mir der Mut. Wie ein kaltherziger Maler hat der Krebs meine Züge neugestaltet, wie ein Architekt ohne Plan, wie ein Tischler ohne Hobel. Und ich bin machtlos. Auch wenn ich probiere mich selbst anzumalen, einen Plan oder eine Hobel zu finden, empfinde ich es nur als lächerlich. Wie eine alte Diva, die sich nicht abfinden kann, dass die Zeit sich auch aus ihrer Schönheit ernährt. Aber es ist verdammt schwierig sich damit abzufinden, dass an Weihnachten und Sylvester nur solche Familienfotos entstanden sind, an dem ich einfach nur fremd und unglücklich aussehe. Dabei fühle ich mich nicht besonders unglücklich oder fremd, nur die Reflexion zeigt mich so und das erschreckt mich.

Selfie mit Elfi, dem treuesten Plüschelefanten.
Ich war zwei Wochen – über Weihnachten – in Ungarn. Es war komisch dort im Plattenbau, in der Zwei-Zimmer-Wohnung meines Vaters. Die Rohren sprachen, der Wind peitschte an den Rollläden und ich lag in meinem alten Bett – eigentlich ein Sofa aus den 70-ern – und traute mich nicht Schmerzen zu haben. Dabei freute ich mich auf meinen Vater – er ist ein guter Krankenpfleger –, auf meine Muttersprache, auf die Rindfleischsuppe, den Pusztasalat, die eingelegten, kleinen, sauren Melonen. Neue Nebenwirkungen kamen. Hitzewallungen. Ich saß oder lag irgendwo und wie ein Tsunami brachen meine Poren aus. In einem Moment war mir heiß und im nächsten war ich klitschenass. Ich konnte nicht schlafen. Nicht nur wegen den Hitzewallungen, auch weil drei Stockwerke unter uns Freunde sich trafen und dabei Technomusik hörten und probierten diese zu überdröhnen und ein Gespräch zu führen. Am ersten Abend in Ungarn ging das so bis ungefähr 5 Uhr morgens und dann war ich schon komplett erschöpft, wie ein Marathonläufer den die Gelsen mit ihrem ständigen Sümmen nerven. Ich brach fast in Panik aus: So wird es noch zwei Wochen weitergehen und ich kann nicht weg von hier? Dann fühlte ich mich plötzlich alt und erbittert. Wie mein Vater sein kann. Und ich erschauderte und probte vor dem Spiegel und setzte mir künstliche Gesichter mit guter Laune auf um nicht, wie mein Vater auszusehen. Nach dem dritten Tag gab ich auf und ließ die miese Stimmung auf mir sitzen. Ich war endgültig erschöpft und konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich die letzte Nacht durchgeschlafen habe oder wenigstens mit einem erholten Gefühl am Morgen aufgewacht bin. Irgendwann kam Weihnachten, Baum schmücken, Weihnachtsessen essen und Weihnachtslieder singen. Meine Familie war da, aber ich war so weit. Heuer konnte ich nicht einmal Geschenke besorgen, konnte ich den Kalender für meinen Vater nicht zusammenstellen, die Stirnlampe für meinen Bruder finden, den Leatherman für C. Jeder bekam irgendwas und es war mir egal. Nur als ich dann selbst Geschenke bekommen habe, gut durchdachte, schöne und praktische Sachen, hatte ich kurz ein schlechtes Gefühl.

In den zwei Wochen habe ich meinen Vater sprechen lassen und hörte ihm nicht immer zu. Aber das machte ihm nichts aus und ich glaube er war froh, dass ich nicht weglaufen konnte und er mir erzählen durfte. Über seine Kindheit, über die Stadtregierung, über seine gesundheitlichen Beschwerden. Nur wenn er sich über mich gebeugt hat, mit Tränen in den Augen, mit einem supertraurigen Blick, dann musste ich ihn wütend rausschicken. "Lass mich in Ruhe, ich will keine Mandarine, keinen Tee, kein Brot mit Salami". Irgendwie ist es gleichzeitig schön, dass jemand mich so lieb hat, wie er und gleichzeitig nervig, dass ich meine Krankheit ständig in seinem Gesicht sitzen sehe. Er wollte, dass ich nach jeder Chemo – es sind noch zwei – nach Hause zu ihm komme. Zehn Stunden im Zug und dann die pfirsichfarbene Wände anschauen und Warten, dass die Schmerzen weniger werden. Er meint es ja nur gut, aber das ist nichts für mich, wenn ich wie eine kranke behandelt werde – ich lasse mich zu sehr auf die Rolle ein und dann ist es viel schwieriger aus ihr wieder herauszukommen. Ich bleibe lieber bei meinem Keller, dem kleinen Chaos und C. der mich nicht, wie eine kranke behandelt, sondern mit mir lacht, wenn ich ihm sage, dass ich wie Madonna aussehe oder wie gespiebene Gerstlsuppe.

Freitag, 12. Dezember 2014

Totenkopf

Schon seit zwei Wochen haben wir einen Totenkopf im Badezimmer. Zahnpaste an den türkisfarbenen Fliesen. Es sieht wirklich so aus: Die Augenhöhlen, der Schädel, dieser leere Platz wo einmal die Nase war. Nur die Zähne und der Kiefer fehlt. Wenn ich am Klo sitze, fällt mein Blick direkt darauf. Oder wenn ich in den Eimer kotze. Irgendwo habe ich gelesen, jeder muss sein "Kotzeimer" haben während der Chemo. Meiner ist vom Hofer. Irgendwann waren mal Äpfel drinnen. Oder Orangen. Und ich habe mir gedacht, der wird noch gut kommen. Ich schmeiße ihn nicht weg. Ohnehin habe ich ihn erst einmal in seiner neuen Funktion benutzt. Wahrscheinlich war die Kotzerei eh nicht von der Chemo. Aber ich bin eine schlechte Kotzerin. Für mich gibt's kaum was schlimmeres. Ich fühle mich immer als ob ich ersticken würde. Ich habe zu viel gegessen, mein Magen macht nicht mit – ich muss lernen, das Essen auch mal liegen zu lassen. Nicht wie ein Hund, alles aufessen, bis es was gibt. Der Eimer ist durchsichtig und hat das Hofer-Logo drauf "Da bin ich mir sicher". Das wird mein Kotz-Slogan. Den Totenkopf putze ich nicht weg. Einerseits, weil ich faul bin, andererseits ist er eine nette Erinnerung an die Sterblichkeit.

Dienstag, 2. Dezember 2014

Brief

Immer ist es das gleiche. Mit oder ohne Fasten. Die ersten Tage nach der Chemo geht's gut und dann fällt alles auseinander. Dann sehe ich meinen Körper, wie aus dem All, dann fühle ich meine Nägel, wie angeklebt, dann bleibe ich mit den restlichen Stoppeln im Kissen hängen. Ich bewege meine Beine, meine Arme, aber sie sind immer ungemütlich, unpassend. Sie sind heiß oder kalt, sie sind steif oder zu weich. Meine Augen als ob sie auch von jemand anderem wären. Meine Hände, als ob sie von ganz weit kommen würden, bis ich mit ihnen mein Gesicht, meine Knie, meine Füße anfasse.

Wie der Brief von meiner Tante. Wer schreibt schon Briefe, heute. Seitdem ich Krebs habe, ist das nun der zweite Brief von ihr. Mit richtigen Wörtern, Buchstaben, Unterschrift. Nicht eine Postkarte. Nicht schön oder zierlich. Einfach nur ein Brief. Hat mir gestern der Postmann gegeben. In die Hand. Er hat zweimal geklopft, so stark an der Tür, dass ich aufstehen musste und öffnen. Sonst fällt er noch samt Tür ins Haus. Vier Briefe. Greenpeace, Tilak, Ärzte ohne Grenzen und das von meiner Tante. Sie hat eine schöne Schrift. Sie ist ein bisschen verrückt und deswegen wundert es mich, wie schön und geregelt ihre Schrift ist. Sie zittert auch stark, aber das merkt man an den Buchstaben kaum. Ich habe auch viele Briefe geschrieben, einige habe ich auch bekommen. Vor allem von meiner Schwester. Als es noch kein Internet gab und das Telefonieren teuer war. Die habe ich noch immer. Ich wahre sie in Bonbonschachteln auf, sie sind im Schrank bei meinem Vater. Und wenn ich ab und zu nach Ungarn fahre, mache ich die Schachteln auf und lese die Briefe bis weit nach Mitternacht und bin den nächsten Tag müde.

Ich liege also im Bett mit den vier Briefen. Ich lasse Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen einfach auf C.-s Betthälfte liegen und öffne den kleinen, weißen Umschlag. Ein A4-Blatt in Hälfte gefaltet, dann quer drauf losgeschrieben. Kedves A. – Liebe A. mit Diminutiv. Und große, luftige Zeilen, in fünf Minuten ist das ganze gelesen. Ein so großer Aufwand. Briefumschlag besorgen, auf die Post gehen, in der Schlange stehen und in einer Woche bekomme ich die Paar Zeilen. Wir sprechen kaum mit meiner Tante. Sie lebt in Ungarn, in meinem Heimatort und dorthin fahre ich kaum mehr, seitdem die Oma tot ist. Eigentlich ist ja immer alles beim Alten. Nur, dass sie (meine Tante und mein Onkel) auch von Jahr zu Jahr älter werden, weniger oder mehr essen, das Bad renovieren und sich nach ihren Kindern sehnen, die im Ausland oder in einer anderen Stadt leben. Dann sprechen wir ab und zu an meinem Geburtstag.

Meine Tante schreibt über ihre Kinder. Der kurze Brief macht mich zutiefst traurig. Mit meiner Cousine und meinem Cousin habe ich schon seit Jahren nicht gesprochen. Meine Cousine hat lange in Dänemark studiert und lebt nun mit ihrem Freund seit vielen Jahren dort. Sie muss jetzt um die 33 Jahre alt sein. Sie arbeitet in einem Lager und sortiert Ersatzteile (die übrigens in Ungarn hergestellt wurden). Ihr Freund ist "Mädchen für Alles" bei einer Familie, versorgt die kranke Mutter, füttert die Tiere am Bauernhof. Meine Tante schreibt: Sie sind mit ihrem Lohn zufrieden, aber wollen natürlich nicht von hier in die Pension gehen. Scheiße, denke ich mir nur und irgendwie erdrückt mich die ganze Misere. Die vielen Kinder, die mit ihrem Diplom in den Westen gehen, ihre Eltern verlassen und dann doch nicht Fuß fassen können. Es drückt schwer auf meiner Lunge und meinen Augen. Als ob ich diese Misere hätte. Als ob das auch mit mir in jedem Moment passieren könnte. Wusch, der Teppich weg unter meinen Füßen. Eine Krankheit, etwas das dich aus dem Konzept bringt. Das Leben ist ja nur ein Kartenhaus. Ich lege den Brief zu den anderen auf C.-s Betthälfte und denke an die letzte Zeile, die meine Tante geschrieben hat. "Wir haben keine Berge, aber wenn Ihr die Möglichkeit habt, sehen wir euch gerne." Ich bleibe aber liegen und glaube, dass alles zu vergänglich und skurril ist.

Donnerstag, 27. November 2014

6. Stock

Ich hatte bisher überhaupt keine Angst vor der Chemo. Heute schon. Eigentlich schon in den letzte zehn Tagen. In denen ich jede Nacht schweißgebadet aufwachte. Und zwar mindesten fünfmal pro Nacht. Mein Körper ein heißer Ball. Dann ein kalter Fisch. Schnell, abwechselnd. Es fängt immer in meinem Nacken an, läuft über meinen Kopf und von dort breitet sich die Hitze in meinem ganzen Körper aus. Ich schmeiße die Decke auf den Boden – gefühlte drei Minuten später taste ich im Dunklen um sie auf meinen zitternden Körper zurückzuziehen.

Der Chemoraum ist im sechsten Stock der Frauen- und Kopfklinik. In der Mitte gibt es einen ovalen Tisch, ein Korb mit Bananen, Äpfeln, Sodawasser, Salz und Pfeffer, Zucker. Schöne Aussicht auf die Nordkette. Bisher war fast jede Chemo bewölkt. Heute am Nachmittag schien die Sonne auf einen Fleck auf den Bergen und kroch immer weiter hinauf, je später es geworden ist. Dann verschwand sie, weil das Fenster beendete und ich nicht bis zu den Bergspitzen sah.

Heute saß ich direkt neben dem Klo. Meine Ärztin heißt Salzer. Sie ist nett. Sie sagte "gratuliere - ich habe über deinen Preis gelesen". Manchmal überrascht's mich, dass Leute unsere Zeitung wirklich lesen. Dann Blutprobe, Harnprobe. Obwohl Salzer nett ist, hat sie mir heute ziemlich wehgetan. Sie fand keine Vene in meinem rechten Arm. Der Raum war beinahe voll, die kanadische Brustkrebspatientin bekam keinen Stuhl mehr, der automatisch umstellbar ist. Sie musst im "Relax-Sessel" sitzen. Salzer stach und stach un stach in meinen rechten Arm und es tat nur weh. Es spritzte kein Blut in die Plastikröhre wie sonst. Dann ging sie auf meinen linken Arm über und entschuldigte sich. Ich sah C. an als sie stach. Diesmal war es weniger schmerzhaft und dann hörte ich mein Blut in das Plastik rauschen. Ich sah auf mein Blut. Dunkel, rot, schnell. Über 1,5 Stunden warten bis die Ergebnisse ankamen. Alles in Ordnung, die Chemo kann losgehen.

Ich bekomme immer vier Flaschen. Die 1. ist irgendwelche Infusion gegen Allergien, dann Fortecortin gegen Schwellungen und dann die zwei "Chemoflaschen", dessen Namen ich mir nicht merken kann. Salzer stellt sie mir wirklich, wie Weinflaschen vor. Cz. sagt sie und stellt sie vor meine Nase ob ich damit einverstanden bin. Ich nicke, natürlich bin ich damit einverstanden. Nur ist es leider kein Wein.

An der Wand gibt es sechs Bilder, eins mit einem Schmetterling. Ich frage mich, warum hängen diese kindischen Bilder hier. Sie sind beleuchtet, wie in einem Ausstellungsraum und wir Patienten sitzen uns gegenüber, wie andere Ausstellungsgegenstände.

Die ganz links ist groß, hart, stark. Eine Bäuerin vielleicht. Sie hat die wenigsten Haare. daneben sitzt eine neue. Die habe ich nie gesehen. Ihr Freund/Mann kommt in der Mittagspause mit einem I-Pad und zeigt ihr Fotos von einer Swarovski-Veranstaltung. Neben ihr sitzt die Frau mit dem lauten Mann. Heute sagt ihr Salzer etwas, daraufhin seufzt die Frau tief und ihr Mann schießt tatsächlich ein Bild mit dem Handy. "Man muss es festhalten, diese Scheißzeit". Neben ihr sitzt eine Türkin. Auch neu. Sie spricht mit der Putzfrau auf Türkisch. Dann spricht sie auch mit den Ärzten und Krankenpflegern auf Türkisch. Nur die Putzfrau versteht sie. Zu Mittag sagt sie "Frühstück". Der Pfleger fragte sie ob sie Schweineschnitzel haben möchte. Der Geruch füllt den Raum. Ich faste heute den dritten Tag und lese Rezepte und meine Nase funktioniert so stark, es treibt mich in den Wahnsinn. Der Geruch bleibt lange. Wir schauen Madagascar 2 am Laptop mit C. und lachen viel.

Zwischendurch wird die Infusion getauscht und peitschende Schmerzen laufen in meine Adern. Es zieht mich auch unten zusammen. Als ob jemand eine Nadel in meine Chlitoris gestochen hätte. Zum Glück gehen die Schmerzen so wie sie gekommen sind, schnell vorbei. Um vier Uhr fünfzig sind wir fertig. Zum Abschluss kriege ich eine lange Spritze in meinen Bauch. Es brennt höllisch. Mein ganzer Körper angespannt. Ich denke nur "scheiße, wie lange noch". Jedesmal habe ich das Gefühl, es dauert länger. Dann sagt die Ärztin "wir sind bei der Halbzeit, jetzt können sie zurückzählen" und ich gehe zum Aufzug – meine Beine fühlen sich wie zwei schwere Steine an – und verlasse den sechsten Stock. Erleichtert, dass ich drei schon hinter mir habe.

Flohmarkt, Sauna, Chemo

Flohmarkt

 

"Wie geht's eich?" fragt der Gemüseverkäufer am Flohmarkt. Er kommt jeden Sonntag aus Garmisch und hat einen Anhänger dabei, den er an der Seite aufmacht und unter einer Plane stehen dann Äpfel und Birnen und Khaki und Rucola.
Anfangs hat er mich immer über den Tisch gezogen und ich ließ mich von ihm verarschen, weil man das Gemüse anfassen durfte und es mich an mein Zuhause erinnerte. Er ist ein echter Verkäufer. Einmal sagte er, er schenkt mir die Melone, wenn ich ihm das genaue Gewicht sage. Er hat gewonnen und ich habe die acht Kilo dreihundert Gramm Melone gekauft. Heute verarscht er mich nicht mehr und erzählt von seinem Leben. Ich bin fasziniert. Er lebt seit über zwanzig Jahren in einem Wohnwagen. "Wir brauchen nicht's anderes, sind ja ständig unterwegs und auch in den Urlaub fahren wir mit dem Wohnmobil". Dann erzählt er über Istambul, wie toll die Stadt ist. Er war nur zwei Tage dort auf Urlaub, hat aber unsaglich viele Theorien gemacht. Wie unterschiedich die deutschen Türken sind von denen dort in Istambul. Er fragt nochmal ob's uns gut geht, als ob er es heute zum erstenmal tun würde. Ich sage, ja, dabei geht es mir überhaupt nicht gut. Ständig träne ich und meine Nase tropft, es ist schlimm, weil ich unzählige Papiertaschentücher verbrauche und meine Nasenspitze pocht als ob sie ihr eigenes Herz hätte. Auch mit meinem Spiegelbild ist es nicht einfach. Jetzt, dass die Wunde verheilt ist, sieht man das wirkliche Ausmaß der OP: ein wahrhaftiger Krater – dabei meint C. es sei überhaupt nicht schlimm, man sieht es kaum. Ich würde den Krater am liebsten füllen. Das geht aber nicht.

Wir schlendern durch das Chaos der Flohmarktstände. Uralte Skie, unheimliche Puppen, gebrauchte Kleider, Fotos wahllos zusammengewürfelt in einer Kiste. Ganz oben auf der Fotokiste ist ein Bild zu sehen, welches ich mag. Ein Pärchen im Studio, vllt. Ende der dreißiger. Sie im weißen Kleid, er mit einem dünnen Schnurrbart. Der dünne Schnurbart umarmt das weiße Kleid von hinten. Irgendwie rührend. Auf einmal kommt ein Junge. Wir haben was gemeinsam. Er ist acht Jahre alt, zirka, ich siebenundzwanzig. Er trägt keine Mütze. Ist ihm nicht kalt? Er hat nicht nur eine Glatze, auch seine Augenbrauen sind weg. Ich finde es unfair, dass er diesen Scheiß auch machen muss und dabei ist er so jung...

Sauna

 

Wir waren gestern in der Saunawelt in Seefeld. Die Rezeptionistin wollte meinen Studentenausweis nicht annehmen: Der ist abgelaufen. Der ist nicht abgelaufen. Es steht drauf, gültig bis 30. November. Dann kann er nicht abgelaufen sein. Ich bin in kämpferischer Stimmung. Sie haben sich nicht neu inskribiert, ihr Freund schon. Es steht trotzdem schwarz auf weiss, gültig bis 30. November. Dann druckt sie zwei Studententickets.

Kaum was los in der Saunawelt. Trotzdem treffen wir einen Bekannten. Einen alten Paragleiter. Natürlich kennt er C. Ich sitze auf einer Liegematte zwischen den beiden Männern. Sie unterhalten sich über mich hinweg miteinander. Übers Berggehen und Paragleiten. "Ich mag keine lauten Leute", sagt der Paragleiter. "Einmal bin ich mit wem gegangen, der hat tatsächlich eine Mini-Stereoanlage mit am Berg genommen. Hast du sie noch alle?", er zeigt auf seine Stirn. Er sieht wie der totale Redneck aus. C. mag ihn aber, weil er gute Paragleiter-Videos macht und auch Schirmhersteller ist. Am Arm hat der Paragleiter ein Tattoo. Wenn ich mich zu ihm drehe, ist es das was ich aus nächster Nähe sehe. Es ist Rund, in den Rand fließt ein Paragleitschirm ein, unten ist eine Hand – als ob sie eine Wahrsager-Kugel halten würde. Ich spreche ihn aber nicht an, denn anfangs macht er so als ob es mich nicht geben würde. Ich will weg, irgendeine andere Sauna ausprobieren. Wir gehen mit C. hoch in das Panoramabecken und schauen von dort die Berge an und ich frage mich, was das Tattoo wohl bedeutet hat.

Langsam füllt sich die Saunawelt. Gibt es überhaupt so viele Einwohner in Seefeld? Und das an einem Mittwoch-Nachmittag. Es gibt immer Leute, die einem auffallen. Die Saunamenschen: Ein alter Mann mit großer Nase, ein Pärchen bestehend aus altem Mann und junger Osteuropäerin (sehr hübsch, irgendwie total unpassend, aber "es ist besser mit einem netten, alten Herrn zu sein, als mit einem jungen Arschloch, der dich auch noch schlägt"), ein junger Mann mit Glatze. Ihn sehe ich nur einmal, aber auch wir haben etwas gemeinsam. Krebs. Ich habe noch vereinzelt Haare. Auf meiner Kopfhaut, am Rest des Körpers. Er ist sehr sportlich und läuft sehr schnell in das warme Aussenbecken hinein. Er ist ganz nackt. Ich sehe seinen ganzen Körper. Es ist wie ein Brandmark. Ich selbst sehe aber noch nicht aus wie Krebs, denke ich. Ich sehe aus wie ein kleines Hühnhen, dem die flauschigen Federn langsam ausfallen.

Bei der letzten Sauna gibt's Aufguss. Wirklich heiß, ich gehe zwei Minuten vor Ende raus. Schnell duschen, schnell anziehen, wieder mit der Rezeptionistin argumentieren. Diesmal wegen der Parkkarte. Sie gibt uns letzendlich eine und wir fahren Heim und C. sagt, ich war die schönste Frau in der Saunawelt. Danach schaue ich in den Spiegel und denke gar nicht an den Krater in der linken Brust.

Montag, 10. November 2014

Rhinozeros

Langsam ist meine Krebshülle so, wie  es aus romantischen "in memoriam XY"-Fotoshootings oder amerikanischen Filmen zu sehen ist. Eine Haut, leer wie nasse Plastiktüte, ein Blick, fiebrig und nichtssagend. Jeden Tag schaue ich in den Spiegel, was hat sich verändert, was ist besser geworden, was schlechter, was anders. Auf meinem Kopf ständig eine Mütze, ein Tuch, irgendwas. Sonst fühle ich mich, wie ein rohes Ei.

Gestern musste ich nicht in den Spiegel schauen. Wem gehört das Bein da im Bett. Es ist meins, dünn, kreppig, Rhinzeroshaut, eine Satellitenaufnahme von einem abgetrocknetem Lavastrom. Es könnte auch jemand anderem gehören. Es könnte auch nur ein Bild sein. Ich kann das Bein lange anschauen und der Besitzer tut mir leid. Dann merke ich erst, dass ich mir selbst leid tue.

Obwohl ich so dünn bin, fühle ich mich, wie eine Kuh - überall stehen mir die Knochen heraus. An der Hüfte, den Knien, den Ellbögen. Wenn ich mit meinen Händen über mein Körper streife, erkenne ich mich nicht wieder.
Von heute auf morgen ist das gegangen. Meine Zähne sind viel zu groß. Als ob sie jemand nicht waagerecht, sondern senkrecht in meinen Mund gesteckt hätte. Oder ein falsches Gebiss, von einem Pferd. Es zerrt an der Nase, zieht das ganze Gesicht auseinander.
Aber Leute sagen, ich hatte noch nie so eine tolle Haut. "Pfu", sagte sogar eine Freundin und wedelte mit ihrer Hand, wie wenn sie etwas ganz heißes angefasst hätte. "Es ist so viel besser', meinte sie anerkennend, weil sie mich noch mit dem Aknefeld gesehen hatte. Und ich falle zwischendurch einfach auseinander.

Jetzt fängt's langsam an. Der Neid über andere. Über ihre Stärke, über ihre Haare, über ihr Lachen, über ihr Appetit. Ich versuche daran zu denken, dass nur noch vier Behandlungen kommen und mein Bild setzt sich auch wieder zusammen.

Als ich die vier Tage gefastet hatte, habe ich ständig Bilder von Essen angeschaut. Habe an Salat gerochen, an Kaffeebohnen und daran gedacht, wenn es mir besser geht, werde ich alles kochen. Und jetzt fühle ich mich unglaublich alt. Sechzig Jahre versetzt. Nichtsbewirkend. Unstark.
So muss es sein, in einem Altersheim, in dem Magazine liegen, der Tag vor sich hertrieft und man sich einen Schweinebraten mit Rotkraut und Apfel wünscht. Aber einen richtig guten, langgeschmort, mit super Kraut und Äpfeln und Semmelknödel. Und selbst kann man ihn einfach nicht mehr machen, weil sich die Hände nicht bewegen, die Füße, die Finger. Jeden einzelnen Schritt hat man im Kopf: Vom Karottenschneiden bis zum Ofen einschalten, sogar den Geruch von gebratenen Fleisch in der Nase. Und am Ende liegt man dann im Bett mit offenen Augen und sieht in eine Ecke, wo eine Spinne sich gerade vom Heizungsschalter langsam abseilt und alles egal ist.

Sonntag, 2. November 2014

Klettverschluss

Jetzt sehe ich aus, wie Auschwitz. Meine Haare sind ganz weg und ich lerne eine andere Seite von mir kennen. Letztesmal hatte ich vor 27 Jahren eine Glatze. Jetzt sehe ich meine Kopfhaut nach so vielen Jahren das erstemal. Sie ist, wie ein Vollmond. Narben, Muttermale, schlecht rasierte, dunkle Flecken die Krater drauf.
Bisher sah ich aus, wie Sams (runder Kopd, kurze Stoppelhaare und viele Flecken im Gesicht – bei jedem Fleck kann man etwas wünschen). Die Glatze ist aber besser als das Gefühl gestern: Beim lesen habe ich meinen Kopf gekratzt – ein ständiger Begleiter seit der Chemo – und die 3-4 Zenti kurzen Haare landeten auf den weißen Blättern. Die Buchstaben sahen aus, als ob ein dunkles und dichtes Spinnennetz drübergewebt wäre. Ich las die Seite zu Ende und blätterte um und sah noch wie die Haare in die Buchmitte rutschten.

©: Alexander Klaus/ pixelio.de
Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man Skinhead ist. Wenigstens teilweise. Mein Kopf friert. Ich würde eigentlich gerne auf die Straße gehen, ohne Perücke, ohne Kopftuch. Ein bisschen die Fußgänger, Busfahrer, Verkäufer zu schocken. Aber ich friere die Wirbelsäule hinunter bis in meine Zehenspitzen, wenn ich das Tuch abnehme. Auch die gestrickten und gehäkelten Mützen verkleben sich mit meinen Stoppeln, wie ein Klettverschluss. Ich muss lachen, denn die Mütze sitzt schief und ich kann sie nicht zurechtrücken. Wenn ich sie abnehme fühle ich wie die Haare sich sträuben, wie sie sich in der grauen Wolle festklammern. Und dabei fallen sogar die Stoppel irgendwann raus, wie in 2. Weltkriegfilmen, in Büschen, unregelmäßig und unschön.
Auch hat C. gesagt, dass meine Narbe an der Brust, wie ein Reißverschluss aussieht. Manchmal wäre es schon toll dadurch aus der eigenen Haut schlüpfen zu können.

Die Haut in meinem Gesicht hat sich großteils beruhigt. Aber ich will es nicht noch einmal. Diese schmerzhaften Entzündungen. Jetzt lese ich einen Fachartikel übers Fasten bei Chemo – vier Tage nur Wasser – das soll die Nebenwirkungen verringern und Tumorzellen gezielt angreifen, währenddessen gesunde Zellen gesund bleiben. Hört sich gut an. Wenn ich mich ohnehin schon vergiften lasse, warum nicht auch das? Ich hoffe, auch die Pickel halten sich dann im Zaum, sonst muss ich wieder die Spiegel abdecken.

Heute war ich im Flohmarkt und habe einen Kaffee getrunken, den einzigen den ich wirklich mag, vom Coffeekult. Am Flohmarkt verkaufen sie ihn aus einem kleinen, offenen Piaggio. Ich habe den Kellner von letzte Woche erkannt und ihm jetzt in die Augen geschaut ob er mich auch erkennt – wir waren ja zwei Stunden seine einzige Kunden und haben miteinander über Gott und die Welt geredet. Er sagte aber nur 1,80, obwohl ich ihm in die Augen geschaut habe.

Donnerstag, 30. Oktober 2014

Das letzte Mal

"Damit du das letzte Mal deine Haare mit deinem Lieblingsshampoo waschen kannst" – C. in der Tür mit einem Shampoo das nach frischgepresstem Apfelsaft riecht. Stimmt, das ist mein Lieblingsshampoo, aber nur seit kurzem, weil ich es erst vor einem Monat entdeckt habe.

Es sind nur Haare. Für mich sind es nur Haare. C. bekommt Tränen als er den Zopf in der Hand hält. Er will ihn nicht abschneiden, aber sie fangen schon an rauszufallen und ich will nicht Haare in jedem Körperwinkel kleben haben. Ich stelle schnell noch den Kartoffelauflauf in den Ofen, bereite einen Grüntee und laufe duschen.

Erst die Schamhaare fingen an auszufallen. Auch beim duschen. Je länger ich unter Wasser war, desdo mehr. Eklig. Komisch. Jetzt fließen sie in den Kanal. Vielleicht verstopfen sie irgendwann die Rohre. Danach habe ich mich nicht getraut mir die Haare am Kopf anzufassen, meinen Zopf zu öffnen, mich zu kratzen oder zu kämmen. Die Paar langen, herausgefallenen Haare klebten fest unter meinen Fingernägeln und kitzelten meinen Nacken.

© *Clam*/pixelio.de
Also ich sitze im Badezimmer und will es dramatisch machen. Ich denke an Prokofiev oder Rachmaninov als Hintergrundmusik. C. empfiehlt Carmina Burana von Carl Orff. Ich bin dabei, ziehe ein weißes Hemd aus dem Wäschekübel, setze mich auf den Stuhl und will das meine Haare mit dem Rasierapparat einfach abfallen. Wie die Blätter vom Baum bei Föhn. Passt eigentlich eh zum Herbst, bin nun ein Teil der Natur. C. setzt den Helm auf, die Kamera schaltet ein. "Bist du sicher? Willst du nicht noch ein Paar Tage warten?" Nein, sicher. Ich weiß, er sagt es, weil die Pickel noch immer mein Gesicht verunstalten und er bangt, dass es mir dann noch schlimmer geht. Aber wie gesagt, Haare sind mir egal. Die tun nicht weh, die explodieren nicht ständig, die sind zahm. Ohnehin hängt am Spiegel ein Küchentuch um mich nicht ständig selbst zu erschrecken. Mein Gesicht ist zwar viel entspannter geworden, die Pickel deformieren nicht mehr mein ganzes Antlitz, aber schön ist was anderes.  Ich gehe noch immer nicht außer Haus.

Er schaltet Carmina Burana ein, dann die Haarschneidemaschine. Es passiert nichts, die Maschine sümmt sehr leise und ich schaue nach hinten, was ist los. Sie ist einfach kaputt, es bleibt nur die Schere. C. greift meinen Schopf, so viele Haare wie möglich zusammen und schneidet. Er schneidet sie durch, hält sie so, wie ein Huhn, wenn man ihm die Kehle durchschneidet. "Nicht ziehen", kreische ich. "Entschuldigung", seine Stimme ist ganz sanft. Auf einmal spüre ich, dass mein Kopf viel leichter geworden ist. "Freedom" fällt mir ein, auf Englisch. Warum gerade auf Englisch. Carmina Burana geht langsam zu Ende. Es ist ein fünfminütiger Track auf Youtube. Schade. Ich schaue mich im Spiegel an und muss lachen, dann lachen wir zu zweit und er schneidet mir die Haare noch ein bisschen. Die langen, abgeschnittenen Haare hält C. mit einem rosa Haargummi zusammen und hängt ihn an den Spiegel. Das Haar sieht aus, wie ein Skalp und ich wie Jean d'Arc, nachdem sie die Pocken hatte. Ich dusche mich noch einmal und esse danach den Kartoffelauflauf. Zwischen den dünngeschnittenen Kartoffelscheiben, sehe ich auf einmal etwas braunes, dünnes, langes. Ich nehme es zwischen zwei Finger und fange an zu ziehen – mein Haar, "das gestern auf meinem Kopf heute Skalp"-Haar mit Schlagobers und Parmesan. Es macht mich nachdenklich, denn ich finde wirklich selten mein eigenes Haar im Essen. Sowas hat mich nie geekelt, aber jetzt schon. Als ob es ein gemeiner Spaß vom Schicksal wäre. Ich schmeiße das Haar, samt Parmesan in den Müll. Das letzte Mal, für lange Zeit.

Dienstag, 28. Oktober 2014

Setzen sie sich

Wenn ich nach dem duschen in den Spiegel sehe, schaut der Krebs zurück. Links, fast unter meiner Achsel ist der Schnitt, nur drei Zentimeter. Trotzdem stört er mich, denn die Narbe ist zu lila, sie sieht nicht schön aus und darunter ist ein fehlt ein Stück aus meiner Brust. Sie haben mir das Fleisch rausgeschnitten. Ich bin dreimal drei Zentimeter kleiner geworden. Es ist kein Selbstmitleid, eher eine Art Wut. Auf den Arzt, das Krankenhaus, dass ich "verunstaltet" wurde. Dass alles so schnell ging. Dabei sagt jeder, ich sollte mich doch freuen. In anderen Ländern wartet man viel länger auf einen OP-Termin. Na gut. Ich freue mich. Die anderen wissen's besser.

Bisher hatte ich keine Angst. Jede Nebenwirkung war mir bekannt: Kotzen, Gelenkschmerzen, Bauchschmerzen, Haarausfall. Irgendwie war ich auch neugierig. Eine Glatze, so etwas würde ich mir nie von selbst trauen. Und wenigstens hängen mir die Haare nicht ins Gesicht, wenn ich kotzen muss. Was bringt so eine Chemo mit sich, das hat mich immer schon interessier.

Direkt danach war ich einfach nur müde, wie jemand der den Tag davor zu lange getanzt hat, zu spät ins Bett ging und um acht Uhr trotzdem in der Arbeit war. Die Fahrräder am Innweg fuhren zu schnell an mir vorbei, meine Füße schleppten sich nur langsam und schwer voran, aber ich bestand drauf, spazieren zu gehen. Denn mich nimmt die Chemo nicht von den Socken. Dann vergingen zwei Tage. Ich war in der Arbeit, ging ins Theater, danach auf eine Party und tanzte bis vier und ging schließlich den Tag darauf 800 Höhenmeter im Stubaital und freute mich, dass es mir so gut geht. So verdammt gut geht. Am Sonntag ging ich noch mit C. in den Flohmarkt, aber da fing es schon an.

Es war wie in den Sommern, in denen ich ständig ohnmächtig geworden bin, mit dem Kopf in Suppen gefallen oder auf die Tischplatte. Weil der Lärm zu viel war, die Hitze und ich nicht genug getrunken habe. Wir gingen nach dem Flohmarkt Pizza essen, dabei war ich eigentlich nicht hungrig, aber die Pizza war gut. Alles war zu schnell, auch was nah war, war eigentlich zu weit, meine Hände schienen nicht mir zu gehören, die Bundesstraße war viel zu laut. Ich konnte nich fokusieren, nicht konzentrieren, ich fing nur einzelne Wörter auf, keine Sätze.

Zuhause legte ich mich hin und stand bis Dienstag gar nicht mehr auf. Gelenkschmerzen, eine ewig trockene Mundhöhle, Kopf- und Halsweh, Kotzegefühl und Durchfall. Am Mittwoch ging es mir wieder so weit, dass ich ein bisschen in die Arbeit ging. Arbeit tut mir gut. Ein bisschen, wenigstens. Danach war mein Magen im Eimer. So bald ich etwas getrunken oder gegessen habe, rannte ich aufs Klo. Dann war mein Magen wieder halbwegs und ich bekam Pickel. Erst nur ein Paar und dann immer mehr. So viele, dass ich mich eine Stunde schminken musste, bis ich mich auf die Straße traute. Dabei immer diese unglaubliche Trockenheit im Mund, wo jedes Essen gleich schmeckt und sich im Mund, im Rachen gleich anfühlt - nämlich wie Sägemehl. Scheiße. Habe ich gedacht. Scheiße wegen den Pickeln, denn die Haut war auf einmal trocken, hat gejuckt und es entstanden Pickel überall. Auf der Kopfhaut, der Brust, einige am Rücken, aber vor allem im Gesicht.

Scheiße. Das wird irgendeine Allergie sein. Ich rief in der Klinik an. "Kommen sie vorbei, der Arzt schaut sich das an". Und ich komme vorbei. Und ich sitze erst eine Stunde, bevor sie  mir sagen "das ist in unserer Praxis noch nie vorgekommen, hm-hm, was kann das sein, hm-hm, gehen sie auf die Hautklinik". Super. Hautklinik. "Warum sind sie hier", blöde Tussi an der Rezeption. Kein Hallo, kein "mit was kann ich ihnen behilflich sein", irgendwas nettes, normales. "Nicht weil es mir Spaß macht". Antworte ich, weil mir die Galle im Rachen hochkommt. Sie lächelt "Ich sitze auch nicht aus Spaß hier", meint sie. Ich lächele, dabei ist mir nicht danach. "Setzen sie sich"

Krankenpfleger in Blau: "Und das soll ich jetzt aussprechen?" - ich weiß schon, das bin ich, mein Name, immer das gleiche. Dabei bin ich die einzige Patientin im Warteraum, also könnte er sich das auch sparen. Irgendwann sitz ich endlich im richtigen Warteraum, dort wo hinter der Tür die Hautärztin ist. Eine Stunde lang sitze ich dort. Vor mir nur eine Patientin mit ihrem Begleiter. Sie sprechen über die Jugend "Und den ganzen Weg hat er mit seinem Handy gespielt. Die Mädls auch, ja-ja, aber die haben auch mal mit mir gesprochen, was sie alles in Wien gesehen haben. Man sieht schon, dass der Bub eingeschränkt ist." Der Begleiter antwortet nichts und die Frau mit dem Verband an der rechten Hand spricht weiter. Ich kann mich nicht auf mein Buch konzentrieren. Maglya - ich kenne das Wort nicht auf Deutsch, von Dragoman György. Hat mir meine Freundin geschenkt. Jetzt vor einer Woche. Dabei überkommt mich eine plötzliche Müdigkeit. Die Stühle sind zu klein, ich bin zu müde.

 "Frau Cz. kommen sie bitte", kommt die Ärztin zehn Minuten nachdem die Frau mit dem Verband schon gegangen ist. In zehn Minuten bin ich fertig, davon hat sie mich fünf Minuten über mein Buch ausgefragt. Maglya - ich kenne das Wort nicht auf Deutsch, dieses Ding, wo man im Mittelalter die Hexen verbrannt hat. Der Medizinstudent neben ihr sagt "Scheiterhaufen", genau, Scheiterhaufen. Ein ernstes Buch. Ja und nein. Ich könnte eigentlich Stunden über Bücher reden. Wie blöd, dass sie sich mehr für mein Buch als für meine Haut interessiert. Dabei fühle ich, dass meine Haut unter dem Make-Up explodiert. Die Ärztin verschreibt mir zwei Cremes und ich gehe aus der Tür und verstecke mich zuhause. Heute gehe ich nirgends. Ich sitze im neuen Sessel, den wir mit C. im Sperrmüll gefunden haben und denke daran, dass die Pickel schnell weggehen. Eine Glatze und Pickel, das wäre jetzt echt blöd.