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Dienstag, 10. März 2015

Normal

Ich bin wieder fast normal. Wenigstens mag ich das über mich glauben. Es ist normal, dass mir die Haare wachsen. Es ist normal, dass meine Nägel wachsen. Es ist normal, dass mein Augenbrauen schwärzer werden. Und doch ist es total außergewöhnlich. Und viel zu langsam. Meine Haare sind ein Dreitagesbart. Meine Nägel wachsen nicht schnell genug um die Hand wieder richtig benutzen zu können. Und obwohl die Augenbrauen schwärzer sind, sind nach der letzten Chemo meine Wimpern ausgefallen. Ich kann meine Wimpern nun zählen, wenn ich wollte. Aber ich traue mich gar nicht.

Letztens saß mir eine Frau gegenüber. Auf ihrem Schoß ein Kind mit blondem Haar, so um die drei Jahre alt. Das Kind sah ernst aus und es schien mir, sie seien irgendwie miteinander verbunden. Nicht nur, wie Mutter und Kind, sondern viel tiefer, ohne Gezanke, ohne Hysterie für Bonbons oder Schokolade oder Ruhigsitzenbleiben - wie das sonst so ist im Bus zwischen Müttern und Kindern. Die Frau war dünn und wie die Sonne so in ihr Gesicht schien, dachte ich mir, sie ist eine Russin, weil sie so dünn ist und weiß und ihre Wimpern so durchsichtig. Es stimmte, sie war Russin, sie sprach mit ihrem Kind, erklärte ihr etwas und das Kind sah mit blauen Augen auf ihre Jacke, an dem ein kleiner Recco-Aufkleber war und spielte damit. Dann zog die Mutter ihre Mütze aus und wir sahen uns in die Augen. Sie hatte auch einen Dreitagesbart am Kopf und ich erwartete mir irgendeine Geste von der Mutter, ein Lächeln, ein Zwinkern, ein "Ichverstehdichgut", aber sie sah wieder aus dem Fenster und erklärte weiter als ob sie nicht bemerkt hätte, dass ich die Gleiche Mütze habe, nur in einer anderen Farbe. Die Chemomütze, bequemer Schnitt, eine Mischung aus Baumwolle und Stretch, nur ich traute sie mir nicht auszuziehen. Nicht im Bus, in vollem Sonnenschein, ohne Wimpern.

Manchmal stört es mich sehr, dass ich wegen den tränenden Augen und fehlenden Wimpern kein Unterschied zwischen einem Alltagsgesicht und einem festlichen Gesicht machen kann. Dass meine Augen so klein geworden sind, dass ich einen Eyeliner gekauft habe, obwohl ich ihn nicht benutzen kann. Weil ich nie in meinem Leben es wirklich konnte. Mir einen Lidstrich auf die Augen zu malen. Nun habe ich es dreimal an drei unterschiedlichen Tagen versucht und jedesmal wieder abgewaschen, weil es aussah als ob mich jemand ins Gesicht geschlagen hätte. Danach versuchte ich mit dem einzigen Lippenstift, den ich gefunden hatte hübsch zu machen. Aber die Farbe - eine Mischung aus Braun und Rot - stand überhaupt nicht. Ich sah aus, wie eine Leiche. Dann probierte ich es mit Ohrringen. Sofort entzündete sich mein Ohr. Dann band ich mir ein Tuch statt der ewigen Kombination von Baumwollmütze und Wollmütze um meinen Kopf und endlich, endlich, endlich empfand ich etwas nahe dazu, was ich jeden Tag fühlen möchte: Zufriedenheit mit meinem Spiegelbild. Was hinter meinem Spiegelbild sonst noch abläuft, ist wirklich nicht einfach zu sagen. Ich heule den Mond an in Pyjamas und schmeiße Popcornschalen gegen die Wand, gebe Zettel auf der Humangenetik ab und sitze im Bus und glaube, mich verbindet etwas mit einer dünnen Russin, aber die hat keine Augen, bzw. ihre Augen sind besetzt, für sich und ihr Kind und ich gehe morgen in die Klinik und lasse mir wieder Dinge sagen, von denen ich entweder besser gelaunt werde oder schlechter. Das ist normal.

Donnerstag, 27. November 2014

Flohmarkt, Sauna, Chemo

Flohmarkt

 

"Wie geht's eich?" fragt der Gemüseverkäufer am Flohmarkt. Er kommt jeden Sonntag aus Garmisch und hat einen Anhänger dabei, den er an der Seite aufmacht und unter einer Plane stehen dann Äpfel und Birnen und Khaki und Rucola.
Anfangs hat er mich immer über den Tisch gezogen und ich ließ mich von ihm verarschen, weil man das Gemüse anfassen durfte und es mich an mein Zuhause erinnerte. Er ist ein echter Verkäufer. Einmal sagte er, er schenkt mir die Melone, wenn ich ihm das genaue Gewicht sage. Er hat gewonnen und ich habe die acht Kilo dreihundert Gramm Melone gekauft. Heute verarscht er mich nicht mehr und erzählt von seinem Leben. Ich bin fasziniert. Er lebt seit über zwanzig Jahren in einem Wohnwagen. "Wir brauchen nicht's anderes, sind ja ständig unterwegs und auch in den Urlaub fahren wir mit dem Wohnmobil". Dann erzählt er über Istambul, wie toll die Stadt ist. Er war nur zwei Tage dort auf Urlaub, hat aber unsaglich viele Theorien gemacht. Wie unterschiedich die deutschen Türken sind von denen dort in Istambul. Er fragt nochmal ob's uns gut geht, als ob er es heute zum erstenmal tun würde. Ich sage, ja, dabei geht es mir überhaupt nicht gut. Ständig träne ich und meine Nase tropft, es ist schlimm, weil ich unzählige Papiertaschentücher verbrauche und meine Nasenspitze pocht als ob sie ihr eigenes Herz hätte. Auch mit meinem Spiegelbild ist es nicht einfach. Jetzt, dass die Wunde verheilt ist, sieht man das wirkliche Ausmaß der OP: ein wahrhaftiger Krater – dabei meint C. es sei überhaupt nicht schlimm, man sieht es kaum. Ich würde den Krater am liebsten füllen. Das geht aber nicht.

Wir schlendern durch das Chaos der Flohmarktstände. Uralte Skie, unheimliche Puppen, gebrauchte Kleider, Fotos wahllos zusammengewürfelt in einer Kiste. Ganz oben auf der Fotokiste ist ein Bild zu sehen, welches ich mag. Ein Pärchen im Studio, vllt. Ende der dreißiger. Sie im weißen Kleid, er mit einem dünnen Schnurrbart. Der dünne Schnurbart umarmt das weiße Kleid von hinten. Irgendwie rührend. Auf einmal kommt ein Junge. Wir haben was gemeinsam. Er ist acht Jahre alt, zirka, ich siebenundzwanzig. Er trägt keine Mütze. Ist ihm nicht kalt? Er hat nicht nur eine Glatze, auch seine Augenbrauen sind weg. Ich finde es unfair, dass er diesen Scheiß auch machen muss und dabei ist er so jung...

Sauna

 

Wir waren gestern in der Saunawelt in Seefeld. Die Rezeptionistin wollte meinen Studentenausweis nicht annehmen: Der ist abgelaufen. Der ist nicht abgelaufen. Es steht drauf, gültig bis 30. November. Dann kann er nicht abgelaufen sein. Ich bin in kämpferischer Stimmung. Sie haben sich nicht neu inskribiert, ihr Freund schon. Es steht trotzdem schwarz auf weiss, gültig bis 30. November. Dann druckt sie zwei Studententickets.

Kaum was los in der Saunawelt. Trotzdem treffen wir einen Bekannten. Einen alten Paragleiter. Natürlich kennt er C. Ich sitze auf einer Liegematte zwischen den beiden Männern. Sie unterhalten sich über mich hinweg miteinander. Übers Berggehen und Paragleiten. "Ich mag keine lauten Leute", sagt der Paragleiter. "Einmal bin ich mit wem gegangen, der hat tatsächlich eine Mini-Stereoanlage mit am Berg genommen. Hast du sie noch alle?", er zeigt auf seine Stirn. Er sieht wie der totale Redneck aus. C. mag ihn aber, weil er gute Paragleiter-Videos macht und auch Schirmhersteller ist. Am Arm hat der Paragleiter ein Tattoo. Wenn ich mich zu ihm drehe, ist es das was ich aus nächster Nähe sehe. Es ist Rund, in den Rand fließt ein Paragleitschirm ein, unten ist eine Hand – als ob sie eine Wahrsager-Kugel halten würde. Ich spreche ihn aber nicht an, denn anfangs macht er so als ob es mich nicht geben würde. Ich will weg, irgendeine andere Sauna ausprobieren. Wir gehen mit C. hoch in das Panoramabecken und schauen von dort die Berge an und ich frage mich, was das Tattoo wohl bedeutet hat.

Langsam füllt sich die Saunawelt. Gibt es überhaupt so viele Einwohner in Seefeld? Und das an einem Mittwoch-Nachmittag. Es gibt immer Leute, die einem auffallen. Die Saunamenschen: Ein alter Mann mit großer Nase, ein Pärchen bestehend aus altem Mann und junger Osteuropäerin (sehr hübsch, irgendwie total unpassend, aber "es ist besser mit einem netten, alten Herrn zu sein, als mit einem jungen Arschloch, der dich auch noch schlägt"), ein junger Mann mit Glatze. Ihn sehe ich nur einmal, aber auch wir haben etwas gemeinsam. Krebs. Ich habe noch vereinzelt Haare. Auf meiner Kopfhaut, am Rest des Körpers. Er ist sehr sportlich und läuft sehr schnell in das warme Aussenbecken hinein. Er ist ganz nackt. Ich sehe seinen ganzen Körper. Es ist wie ein Brandmark. Ich selbst sehe aber noch nicht aus wie Krebs, denke ich. Ich sehe aus wie ein kleines Hühnhen, dem die flauschigen Federn langsam ausfallen.

Bei der letzten Sauna gibt's Aufguss. Wirklich heiß, ich gehe zwei Minuten vor Ende raus. Schnell duschen, schnell anziehen, wieder mit der Rezeptionistin argumentieren. Diesmal wegen der Parkkarte. Sie gibt uns letzendlich eine und wir fahren Heim und C. sagt, ich war die schönste Frau in der Saunawelt. Danach schaue ich in den Spiegel und denke gar nicht an den Krater in der linken Brust.

Donnerstag, 30. Oktober 2014

Das letzte Mal

"Damit du das letzte Mal deine Haare mit deinem Lieblingsshampoo waschen kannst" – C. in der Tür mit einem Shampoo das nach frischgepresstem Apfelsaft riecht. Stimmt, das ist mein Lieblingsshampoo, aber nur seit kurzem, weil ich es erst vor einem Monat entdeckt habe.

Es sind nur Haare. Für mich sind es nur Haare. C. bekommt Tränen als er den Zopf in der Hand hält. Er will ihn nicht abschneiden, aber sie fangen schon an rauszufallen und ich will nicht Haare in jedem Körperwinkel kleben haben. Ich stelle schnell noch den Kartoffelauflauf in den Ofen, bereite einen Grüntee und laufe duschen.

Erst die Schamhaare fingen an auszufallen. Auch beim duschen. Je länger ich unter Wasser war, desdo mehr. Eklig. Komisch. Jetzt fließen sie in den Kanal. Vielleicht verstopfen sie irgendwann die Rohre. Danach habe ich mich nicht getraut mir die Haare am Kopf anzufassen, meinen Zopf zu öffnen, mich zu kratzen oder zu kämmen. Die Paar langen, herausgefallenen Haare klebten fest unter meinen Fingernägeln und kitzelten meinen Nacken.

© *Clam*/pixelio.de
Also ich sitze im Badezimmer und will es dramatisch machen. Ich denke an Prokofiev oder Rachmaninov als Hintergrundmusik. C. empfiehlt Carmina Burana von Carl Orff. Ich bin dabei, ziehe ein weißes Hemd aus dem Wäschekübel, setze mich auf den Stuhl und will das meine Haare mit dem Rasierapparat einfach abfallen. Wie die Blätter vom Baum bei Föhn. Passt eigentlich eh zum Herbst, bin nun ein Teil der Natur. C. setzt den Helm auf, die Kamera schaltet ein. "Bist du sicher? Willst du nicht noch ein Paar Tage warten?" Nein, sicher. Ich weiß, er sagt es, weil die Pickel noch immer mein Gesicht verunstalten und er bangt, dass es mir dann noch schlimmer geht. Aber wie gesagt, Haare sind mir egal. Die tun nicht weh, die explodieren nicht ständig, die sind zahm. Ohnehin hängt am Spiegel ein Küchentuch um mich nicht ständig selbst zu erschrecken. Mein Gesicht ist zwar viel entspannter geworden, die Pickel deformieren nicht mehr mein ganzes Antlitz, aber schön ist was anderes.  Ich gehe noch immer nicht außer Haus.

Er schaltet Carmina Burana ein, dann die Haarschneidemaschine. Es passiert nichts, die Maschine sümmt sehr leise und ich schaue nach hinten, was ist los. Sie ist einfach kaputt, es bleibt nur die Schere. C. greift meinen Schopf, so viele Haare wie möglich zusammen und schneidet. Er schneidet sie durch, hält sie so, wie ein Huhn, wenn man ihm die Kehle durchschneidet. "Nicht ziehen", kreische ich. "Entschuldigung", seine Stimme ist ganz sanft. Auf einmal spüre ich, dass mein Kopf viel leichter geworden ist. "Freedom" fällt mir ein, auf Englisch. Warum gerade auf Englisch. Carmina Burana geht langsam zu Ende. Es ist ein fünfminütiger Track auf Youtube. Schade. Ich schaue mich im Spiegel an und muss lachen, dann lachen wir zu zweit und er schneidet mir die Haare noch ein bisschen. Die langen, abgeschnittenen Haare hält C. mit einem rosa Haargummi zusammen und hängt ihn an den Spiegel. Das Haar sieht aus, wie ein Skalp und ich wie Jean d'Arc, nachdem sie die Pocken hatte. Ich dusche mich noch einmal und esse danach den Kartoffelauflauf. Zwischen den dünngeschnittenen Kartoffelscheiben, sehe ich auf einmal etwas braunes, dünnes, langes. Ich nehme es zwischen zwei Finger und fange an zu ziehen – mein Haar, "das gestern auf meinem Kopf heute Skalp"-Haar mit Schlagobers und Parmesan. Es macht mich nachdenklich, denn ich finde wirklich selten mein eigenes Haar im Essen. Sowas hat mich nie geekelt, aber jetzt schon. Als ob es ein gemeiner Spaß vom Schicksal wäre. Ich schmeiße das Haar, samt Parmesan in den Müll. Das letzte Mal, für lange Zeit.

Sonntag, 26. Oktober 2014

Drei Tage

Ich verstehe auch andere Dinge nicht und rege mich nicht auf, weil ich sie nicht verstehe. Warum würde ich jetzt eine Ausnahme machen? Es ist nur etwas mehr, dass ich nicht verstehe und das ich nicht beeinflussen kann. Obwohl, über letzteres, bzw. das Gegenteil, versuchen mich Freunde, Bekannte und Familie zu überzeugen. Und ich lebe mein Leben weiter, wie bisher. Einen Film, der mit anderen passiert und nicht mit mir.

   
Die Entdeckung- Tag 1    
Copyright: Heike/pixelio.de
Die Geschichte fängt mit einem Kratzer an. Jetzt im September, wo es einmal heiß war habe ich mich unter der Achsel gekratzt, währenddessen ich mit einem Kollegen diskutierte. Und hopp, diskutierte mein Kollege plötzlich alleine. Denn ich fühlte etwas rundes und hartes in meiner Brust und es überkam mich eine sofortige Todesangst und ich brauchte einige Minuten um mich zu fassen. Ich hatte das Gefühl in dieser Angst ist auf einmal all mein Blut in mein Gehirn und mein Herz geschoßen und fühlte eine Urpanik, wie ich sie fühle, wenn ich an das Weltall denke oder mir Sterne zu lange ansehe. Fünf Minuten später half meine Atemübung und ich konnte wieder zuhören. Mein Gesprächspartner überbrückte die Debatte alleine und bemerkte von meinem Schwächeanfall überhaupt nichts. Soviel über die zwischenmenschliche Kommunikation.

Die Medien haben mich gut trainiert. Man sollte sofort zum Arzt gehen, wenn man etwas komisches in der Brust spürt. Ich bin 27 und im Internet fand ich gleich eine beruhigende Antwort auf den Knoten: Verklumptes Fettgewebe. Unter dreißig ist Brustkrebs sehr selten. Auch meine Freunde beruhigten mich. Ich ging zur Hausärztin, da mein Frauenarzt zu der Zeit gerade auf Urlaub war, ob sie glaubt, dass das ein Knoten ist oder ich mir das nur einbilde.
Sie wärmte ihre Handflächen auf indem sie sie zueinander rieb und schaute links hinter mein Ohr, während sie mir die Brust abtastete. Sie hatte eine weiche Hand. Man sah in ihrem Gesicht nichts. Aber sie schickte mich zur Brustambulanz, denn da war wirklich ein Knoten.Und zwar sofort nächsten Tag sollte ich gehen.



Die Untersuchung - Tag 2
Ich war mittlerweile schon komplett beruhigt. Statistiken, Freunde, alles schien auf meiner Seite zu stehen. Ich sagte das ganze mit dem Knoten eigentlich nur zwei Freunde. Das half auch. Dann fragten nicht so viele, wie es mir denn ging. Die Einweisung auf die Brustambulanz nahm ich, wie eine Überreaktion, eine Art Sicherstellung, dass alles in Ordnung ist.

Der Radiologe, ein kleiner Mann die ärztliche Version von Homer Simpson im weißen Kittel, war barsch. Ich musste ausgezogen in einem blauen Kittel warten, dann nur in Strumpfhose mit dem linken arm über meinem Kopf in einem winzigen, halbverdunkelten Raum mit einer Ultraschallmaschine zusammen liegen. Dann kam endlich Homer und hatte eine kalte Hand. Er schmierte dieses komische Gel auf meine linke Brust und fuhr mit dem Ultraschallkopf hin und her. Drückte den Knoten auf die eine Seite, auf die andere Seite und dann fest hinein. Er brabbelte verstörend. Es nervte mich unglaublich. Gesagt hat er dann nur: "Wischen sie sich ab, wir werden eine Biopsie nehmen um ganz sicher zu stellen, dass der Knoten gutartig ist." Gut. Kittel an. Ich wieder am Flur sitzend. Komisch. Sie machen nicht einmal eine Mammographie, fragte ich mich. Obwohl mir die Hausärztin alles gut erklärt hatte, damit ich mich nicht wundere, wie es so in der Brustambulanz abläuft.

"Frau Cz. kommen sie, bitte" - nach 15 Minuten kam die nette, blonde Krankenschwester lächelnd in den Warteraum. Jetzt ging ich in einen helleren Raum, aber liegen musste ich gleich. Linker Arm ganz weit nach oben. Kissen unter meinen Rücken, auf der Seite liegen, mit nacktem Oberkörper. Der Arzt ließ wieder auf sich warten. 10 Minuten lag ich so, fror und sah die Neonröhren an der Decke an. Ich redete mir ein, das alles passiert außerhalb meines Körpers. Mir kam beinahe vor, ich könnte mich von außen sehen. Komisch.

Endlich kam der Arzt, mit einer Stanze, die mich an gefüllte Puten erinnert. Mit einer solchen langen Stanze stecht man sie durch um sie von vorne bis hinten zusammen zu halten. Auch die Methode war ähnlich. Nach einer Betäubungsspritze und dem Ultraschallkopf in einer Tüte an meiner Brust kam die Stanze hinein. Der Arzt suchte den Knoten. Ich sah ihn auf dem Bildschirm. Wie eine zermatschte Bohne sah er aus. Sechsmal stach er mit der Stanze in meine Brust. Nur am Ende sah ich, wieviel ich geblutet hatte und wie lange die Stanze in Wirklichkeit war. Ich fand es interessant. Dann sagte mir die Krankenschwester, während sie meine Wunde zuband, dass ich morgen zur Befundbesprechung mit jemandem kommen sollte, den ich gerne hab. Bingo, sagte ich, denn wir hatten mit meinem langjährigen Freund besprochen, dass wir eine Pause machen, um zu sehen in welche Richtung unsere Beziehung gehen wird. Fünf Jahre miteinander durch dick und dünn und seit einer Woche kein Kontakt mehr. Bedenkzeit. Ich glaubte langsam auf den Geschmack zu kommen, was ich in Wirklichkeit will. Und dann sagt mir die Krankenschwester das was sie sagt und der einzige Mensch, den ich in diesem Moment neben mir haben will, ist er. Die Krankenschwester sagte: Sie haben doch sicher einen Freund, eine Freundin, die Mutter, die Schwester, jemand der sie begleiten kann. Ich sah in die Neonröhre und eine Träne rollte mir auf der rechten Wange hinunter. Ich fühlte mich unglaublich verlassen.

Ich rufe ihn an, er hebt nicht ab. Wir haben besprochen, dass wir nicht miteinander sprechen. Ich schreibe ihm eine SMS und am Abend sitzt er bei mir in der Küche und alles ist ein bisschen komisch, aber ich bin sehr froh und dankbar, dass er bei mir ist.

Der Befund - Tag 3
Ich gehe ganz normal in die Arbeit und versuche den Arzttermin zwischen zwei andere Termine zu quetschen. Es ist perfekt, denn ich mache ein Interview in der Innenstadt und danach kann ich schnell ins Krankenhaus laufen, bevor ich wieder ins Büro zurück muss.

Vor der Klinik wartet schon mein Freund um 2 Uhr auf mich. Er sieht aufgeregter aus, als ich. Ich bin mir sicher alles passt mit den Befunden. Bei mir passt immer alles. Egal ob Blut oder Harn - das Labor sagt immer, alles ist perfekt. Und ich fühle mich fitter und glücklicher denn je. Weil ich die Dinge geklärt habe, weil ich mit meiner Familie, mit meinem Freund viele Gespräche über unsere Beziehungen miteinander geführt habe und ich alles sagen konnte, was mich belastete. Nüchtern und schön. Und manchmal auch schreiend und weinend. Aber letzen Endes immer nüchtern und schön und liebevoll.
Homer Simpson in Weiß huscht an uns vorbei. Er sieht immer nervös aus. Kann ich sagen, da ich ihn jetzt schon den zweiten Tag sehe. "Ganz gleich", sagt er - eher zur automatischen Tür, die ihn schluckt, als zu uns.

Dann sitzen wir in einem kleinen Raum ohne Fenster. Ein Kalender von Knorr hängt an der Wand. Kartoffelauflauf im September. Das Licht ist kalt. Neon. Wieder warten auf den Radiologen. Er kommt rein, Grüß Gott, setzt sich vor den Computer, zieht die Brille aus und dreht sich zu uns. Ich muss ihnen leider sagen, dass der Tumor bösartig ist. Punkt. Kein Kommentar. Ich sehe ihn an, ich sehe meinen Freund an. Er hat Tränen in den Augen. Auf einmal bekomme ich keine Luft. Warum ist in diesem scheiß Raum kein Fenster? Und? Frage ich? Sterbe ich gleich, kann ich gesund werden, sind sie sich sicher, ich fühle mich doch sooooo gesund. Sie sehen wie das blühende Leben aus, aber auch dann kann man Krebs haben. Sagt der Arzt. Ich will noch so vieles machen, sage ich. Denn ich denke daran, jetzt bin gleich tot, mein Roman ist nie fertiggeworden, ich war nie wirklich in Rom (habe zwei Tage vorher "La grande Bellezza" gesehen) und habe noch keine Kinder bekommen. Und ich wollte doch immer eine Oma werden. Ich beuge mich auf meine Knie. Vielleicht ist dort mehr Luft, ich komme wieder zurück und greife mir in die Haare. Der weiße Homer sitzt unbeeinflusst dort. Erklärt. Sie gehen jetzt in den zweiten Stock, blablabla. Mein Freund fließen die Tränen, ich weine nicht. Es ist einfach nur unfassbar. Dann kommt eine Krankenschwester, die uns zur Blutabnahme begleitet. Die andere Krankenschwester saugt Blut aus mir, ich werde angezapft, denke ich. Ich werde sterben und fange an zu weinen. Die Krankenschwester schaut mich überrascht an. Schlechte Nachrichten? Ich nicke und weine und lächele. Warum will ich immer tapfer bleiben? Wann hat man mir das beigebracht? Warum einfach nicht mal wütend sein und weinen? Wann, wenn nicht jetzt? Aber ich bleibe tapfer und meine Tränen laufen in mein Lächeln hinein. Mein Mund schmeckt gleichzeitig salzig und süß und trocken. Bestimmt ist es wegen den vielen Indianergeschichten, wegen Lederstrumpf, weil ich immer ein Indianer sein wollte. Flink, stark, mutig, unzerstörbar.

Der zweite Arzt war hübsch. Zum Glück war er auch nett und verständnisvoll. Er hat Augen, wie ich. Außen grün, Innen braun. Er schaute mir nicht nur ins Gesicht, er sah auch meine Angst. Er beruhigte mich. Der Knoten ist klein, sie sind jung, ihre Heilungschancen sind sehr gut. Und schon machte einen Termin. Ist ihnen der 16. September recht? Ich hatte das Gefühl, überrumpelt zu sein. Sicher, ist es mir recht. Mir ist alles recht. Gestern hatte ich noch kein Krebs. Und als ich das dachte, wusste ich das es nicht stimmte und ich doch recht hatte.