Donnerstag, 9. Juli 2015

Abschiedsbrief

Lieber Krebs, ich habe mir gedacht, nun ist es an der Zeit von einander Abschied zu nehmen. Du hast mich begleitet, ob ich wollte oder nicht. Du warst mein saurer Regen, mein Bürgerkrieg im eigenen Körper, mein Sandkorn im Werk. Es ist höchste Eisenbahn, dass ich dich verabschiede. Mit dem, dass du jetzt für immer zu meiner Geschichte gehörst, habe ich mich – so glaube ich es – abgefunden. Dass du für immer in meiner Chronik stehst, unter September 2014. Obwohl du dich ja anfangs gar nicht bemerkbar gemacht hast. Schön langsam bist du in mein Wasser hineingeflossen. Wie Himbeersirup im Glas, das sich schön langsam auflöst und erst nur eine rote Wolke im Wasser ist und im nächsten Moment färbt er alles ein. So bist du für mich gewesen. Erst kam die OP, dann die Chemo, dann die Bestrahlung. Plötzlich ging alles nur mehr um dich, 1,5 Zentimeter Stück schlechtes Fleisch. Falsches Fleisch, dass mich von innen nagte.

Die Hormontherapie läuft noch immer, wie auch die Antikörpertherapie. Aber langsam habe ich das Glas leer getrunken und das nächste werde ich mir selbst nachfüllen. Und kein Himbeersirup mehr, danke. Nein, etwas erfrischendes. Etwas mit Zitrone und Minze. Nur weiß ich nicht, was mir Minze und Zitrone bringen wird. Ich will von dir Abschied nehmen, das weiß ich. Aber ich habe auch Angst. Wie vor einem Stalker, der zurückkehren könnte. Ich fühle, in mir ist ein Tor, zugesperrt, zu dem ich den Schlüssel verloren habe. Der Schlüssel zur vorübergehenden Unsterblichkeit. Oder wenigsten zum Gedanlen daran. Meine Tage sind langweilig, ich habe das Gefühl mit jedem Tag verliere ich mehr von mir. Von meinen Wünschen, von meinen Träumen. Dass ich jetzt ein Stück näher an den Tod gerückt bin und trotzdem sich nichts geändert hat. Dass ich dem Tod vis a vis saß und er mich anlächelte und Ärzte um uns herumfuchtelten und ich zu den Ärzten und den Tod lächelte und ich nicht wusste, wer die Wahrheit sagte. Wer weiß, was für mich gut ist. Nicht einmal ich. Ich weiß es nicht. Noch immer nicht. Und dabei saß ich vor dem Tod und die Ärzte hielten und halten mich noch immer fest. Ich bin traurig, dass du mir mein 27. Jahr versaut hast. Dass du mir schwitzende Rücken geschenkt hast, einen schlechten Blick, eine schmerzende linke Brust, einen schwellenden Arm und einen Nagel am Zeh, den ich in Wien Westbahnhof verloren habe. Nun habe ich keinen Nagel am linken Fuß und dabei habe ich ihn doch lackiert und mir doch neue Sandalen gekauft. Ja, stell dir vor, neue Sandalen und die will ich wenigstens so lange tragen, wie die alten. Acht Jahre. Ich kaufe mir Sandalen für acht Jahre und du sollst das bitte akzeptieren. Mehr habe ich nicht zu sagen. Am besten du kommst nie wieder zurück. Das wäre mir wirklich am liebsten. Und wenn du den Nagel in Wien Westbahnhof finden würdest, behalte ihn als Andenken an das, was du getan hast.

A.