Dienstag, 26. Mai 2015

Die Münze

Als ich ein Kind war, spielten wir oft Dinge, die uns nicht erlaubt waren: Wir spielten mit den Zügen, den Gleisen, dem Übergang, mit der Schranke. Wir hatten Geld, welches es eigentlich nicht mehr gab. Fillér – das Geld das kleiner war als der Forint und der nach einer Weile so wenig Wert hatte, dass wir Kinder es haben durften und damit spielen und wir hatten eine Menge, große Einmachgläser voller Münzen. Und wir gingen zu den Gleisen und legten die kleinen, leichten Geldstücke auf die langen Eisenstangen und warteten. Und waren aufgeregt, wenn sich die Schranke endlich mit großem Geklimper und mit roter Lampe zusperrte. Wir saßen auf dem Geländer aus Stahl, dass die Fußgänger verlangsamen soll und die Radfahrer vom Sattel zwingen und wir hörten, wie das Eisen vibrierte, wie der Zug plötzlich die Luft wegschob und dann dröhnte alles für einige Sekunden, unsere Haare flogen in die Luft und wir hielten uns fest, damit der Zug uns nicht wegbläst. Immer waren wir überwältigt und saßen einige Sekunden zu lang am Geländer, während die Schranken schon aufgingen und die Autos, die ihre Motoren abstellten, wieder den Motor anzündeten und losrollten.

Oft saßen wir davor sehr lange am Geländer, oft schien die Schranke nutzlos den Weg zu versperren, der Zug war nicht hörbar, nicht sehbar und oft kam uns vor, dass der Zug gar nicht kommt. Aber er kam immer und deswegen harrten wir meistens doch aus. Mit dem Geländer an den Pobacken, hart, ungemütlich, aber er kam immer der Zug und drückte unsere Fillérmünzen platt und die Schranken gingen plänkernd wieder hinauf und die Autos brummten los und es bewegte sich wieder alles und wir suchten die Münzen zwischen den Steinen. Den grauen, nach Eisen riechenden, dreckigen Steinen, zwischen den Gleisen und fast immer haben wir die zerquetschten Münzen gefunden und wir fanden es faszinierend, dass der Zug sie flach machte und deformierte und man trotzdem noch die Zahlen erkannte, die Schrift – nur wurde das ganze, wie eine harte Palatschinke, etwas geboben, wenn wir sie nicht richtig platziert hatten. Manchmal blieben wir stundenlang an der Schranke und spielten dieses Spiel, bis unsere Taschen schon voll waren und uns plötzlich langweilig und hungrig wurde und wir wieder in die Häuser gingen, in denen es viele Wohnungen gab und jeder von uns hinter einer dieser braunen Holztüren am Flur wohnte. Die Münzen, die deformierten vergaßen wir im selben Moment in dem wir unsere Kleider auszogen und in das Badewasser tauchten. Mit Schaum uns zudeckten und wir spielten, wir seien der Nikolaus und machten uns einen weißen Bart.

Warum ich das jetzt erzählt habe? Ich bin so eine Münze. Der Krebs ist über mich gefahren und obwohl meine Züge noch erkennbar sind, der Abdruck bleibt in meinem Gesicht. Es bleiben die Falten, das weiße Haar, die deformierte Brust. Ich habe Angst davor, dass ich nicht mehr werde, wie ich davor war.