Freitag, 27. Mai 2011

London, der Papst der Städte

London at first sight

London ist der Papst der Städte. Man muss ihm einfach den fetten Ring an der Hand küssen, denn es hat die Fähigkeit Leute in den Bann zu ziehen, fesseln und die Geldbörsen öffnen. Auch wenn man kein Geld hat, prügelt jede Bar und Restaurant schwer ersparte Pennies heraus, vor allem wenn man mit Freunden unterwegs ist.
Es macht kein Sinn über die Sehenswürdigkeiten von London zu schreiben: Es gibt genug Berichte, um damit die Themse zu füllen. Aber ich wurde do beeindruckt, dass ich nicht wiederstehen kann darauf zu reflektieren. Eigentlich schreibe ich über mich, nicht über London.
Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich mich in einer Metropole. Ich kenne eigentlich nur eine Großstadt wirklich, Budapest, und diese ist eine sehr schlichte und farblose im zusammengleich zu London. Die Menschen, die Gebäude, die Straßen – alles regt sich, zittert und ist übertrieben. Eigentlich ist es keine speziel schöne Stadt – es ist nicht überpackt von unter Denkmalschutz stehenden Häusern und hat eigentlich viel zu viel Industriegebäude, die man auch gerne hässlich nennen kann. Aber in der Beleuchtung der Englischen Geschichte, wird es dann doch zum historichen Szenario. Man denkt daran,  von hier wurde die Welt erobert und ein bissl versteht man es schon warum.

Honglondon

Die Stadt ist fett von Touristen. In Chinatown konzentriert sich dann die Menge und wird zu einem lustigem, wie auch furchtbarem Durcheinander. Immer Schritt halten mit den anderen, warten, wenn jemand etwas langsamer ist, nur nicht verführen lassen und stehen bleiben, wenn die anderen dich nicht sehen und nicht reagieren. Aber das ist schwer, da es doch so viel zu sehen gibt! Mal halte ich bei den Enten, die fertiggebraten und glänzend, mit Kopf und Schnabel im heißen Schaufenster hängen, mal sehe mich mir die Riesenkrabbe an, die im Lebensmittelgeschäft in einer Kiste auf dem Rücken liegt und sich noch bewegt, mal verblüfft mich eine Notize, die jenen Mann sucht, der eine vierköpfige Familie ermordet hat. Mir wird heiß und ich bin froh kein Chinese, sondern nur ein durchlaufender Tourist, in Chinatown zu sein.
Wir wohnen bei einem Freund, Edmond. Wenn man die Augen zu macht und ihm nur zuhört, ist er typisch Englisch und alles ist eindeutig, wenn man sie öffnet, ist er ein Chinese mit dem perfekten britischen Akzent. Alle seine Freunde sind so wie er. Es ist verwirrend, da in meinem Kopf sich eine Stereotype von einem Chinesen geprägt hat, der zwar versucht eine Fremdsprache zu sprechen, aber bei der Aussprache lediglich scheitert. Ich schäme mich und verstehe nun, dass eigentlich ich diejenige bin, die die Fremdsprache nicht beherrscht.
Als Fanatiker der billigen chinesischen Küche, bin ich unglaublich froh mal VIP Gast zu sein. Die Eltern von Edmond betreiben ein Buffet etwas ausserhalb von Chinatown und wir haben freie Wahl. Alles wird gekostet. Die, in Palatschinken gewickelte, knusprige Ente mit klein gehackten Zwiebeln, Gurken und salzigem Pflaumenmousse verschwindet eins nach dem anderen, ohne Halt, in Carlos‘ Mund. Mein Lieblings‘ ist das mit Pilzen gekochte, saftige Huhn, hakka mun gai – eine Spezialität aus dem Kanton der Mutter. Dazu trinken wir Tiger Bier. Bald treffen auch andere Chinesische Freunde ein. Eigentlich fühle ich mich mehr in Hongkong als in London.  
Wir essen und trinken uns durch den ganzen Aufenthalt. Wir haben zwar gar kein Geld dabei, aber Onkel Edmond schiebt uns dreißig Pfund pro Kopf rüber und seine Visitenkarte. Sicher ist sicher: Wenn wir verloren gehen, können wir überleben, bis er uns rettet. Da ich mein Telefon in Österreich vergessen habe, mach ich mir etwas sorgen ob ich wohl eine Zelle finde. Ganz überflüßig, da es doch kaum etwas mehrfotografiertes in London gibt, wie die roten „phone boxes“.

Brick lane

Am zweiten und letzten Tag, gehen wir nach Brick lane um den Markt zu sehen. Zum Frühstück essen wir Beigl mit salzig gekochtem Rindfleisch und scharfem Senf. Der Laden ist vierundzwanzig Stunden, sieben Tage der Woche geöffnet und ist immer voll. Bis wir vor der Tür stehen, tritt ein Herr zu uns und – soweit ich mich erinnere – fängt er auf einmal an mit uns zu sprechen. Er erzählt erst über den Laden,  dass die Beigl erstmals von jüdischen Einwanderern verkauft worden sei und seitdem brauchen die Eigentümer sich keine Sorgen mehr machen, da es einer der heißbegehrtesten Speisen ist vier Uhr morgens. Hier kann man immer was neues herausfinden und wenn es funktioniert, wird es überall, meint er. Dann zeigt er auf die Straße, wo ein Verkäufer des Sonntagsmarkt seinen Stand etwas organisiert – alte Taschen, Nähmaschinen, Sessel. Und er gibt uns ein Tipp: „ Schmeisst eure alten Sachen nie raus – nach dreißig Jahren kauft es jemand für den hundertfachen Wert in Brick lane!“ Er lacht, im Korb hat er nur Kräuter, und geht weiter. Es ist schon zehn Uhr und ich denke mir, in Österreich läuft der Flohmarkt zu dieser Zeit schon Vollgas. Hier fängt man soeben an, kaum gibt es welche die schon was verkaufen. Man kann es eigentlich nicht vergleichen. Der Flohmarkt in Innsbruck ist billig, es werden Sachen verkauft die man nicht braucht, alles ist auf einem Haufen und man muss die schönen Stücke herausgraben, finden. In diesem Markt hier werden auch beinahe dieselben Sachen verkauft, nur werden sie aufgehängt inmitten von Dekoration und werden begehrt, da es von Brick lane stammt.
Ausserdem gibt es viele Künstler. Für zehn Pfund kann man T-Shirts kaufen, die man nie zuvor gesehen hat, man sieht kleine Stände, wo man die Couisine der ganzen Welt durchkosten kann: Paella aus Spanien, Curry-gerichte aus Asien, Italienische Pizza, Argentisches Grillfleisch, und, und, und. Meine einzige Errungenheit hier ist ein Caffé Latte zum mitnehmen. Carlos trinkt sein Mate, typisch argentinisch und ich zeige auf eine Frau, dessen Idee mir sehr-sehr gefällt. Sie klebt getrocknete, gepresste Blätter an die Wand, von denen sich kleine, aus Holz geschnitzte Menschenfiguren festhalten. Als würden sie wegfliegen. Es sieht sehr fein und zerbrechlich aus. Carlos schlürft an seinem Bombilla, die Frau dreht sich um und sie fangen an miteinander zu sprechen. Natürlich ist sie aus Argentinien. Ihr Mate steht auch hinter ihrem Rücken auf den Tisch.

Sight seeing

Danach schauen wir uns noch etwas um. London Bridge, Tower, Doppeldecker, Spaziergang an der Themse und das Globe Theater. Das letzte für mich „very touching“, ich freue mich da zu stehen, wo mal vielleicht Shakespeare auch gestanden hat. Dann Millenium Bridge, St. Paul Cathedral, Fish and Chips und die vielen Nelson Mandelas, verkleidet als Chruchill, Zweiter Weltkrieg Denkmal, reitender Ofizier, etc.


Feel the fever, baby

Abends gehen wir dann in Camden Town, glauben das wir wahrhaftig ein Punkzoo finden werden, dass wir Bilder machen können über Tomahawks und abgerutschte Leben. Ein bissl täuschen wir uns schon. Nicht viele Punks tragen mehr Tomahawks, aber mindestens einen haben wir erwischt. Der kam aus Italien. Die neuen Punks sind noch viel bunter. Wie der Fleischwarenhandel im Supermarkt. Fette Leute, dünne Leute, sommerlich und winterlich angezogene, mit Mütze oder ohne, Piercings oder keine, Macho oder Schwul, und, und, und.
Es ist sechs oder sieben Uhr, Carlos wird hungrig. Die Stände wollen schließen und versuchen ihre Waren noch schnell zu verkaufen. Sie rufen „just three punds, everything just three punds“ und ein chinesisches Mädchen sieht Carlos‘ forschende Augen und ruft dazu „darling, come here, just three pounds“. Sie hat gewonnen, "darling" geht zu ihrem Buffet, steht vor dem Zeichen „mix everything“ und wählt. Das ganze ein bissl wie Fastfoodprostitution.

Wir gehen in eine Bar in der Nähe und ich trinke Cider, zum erstenmal. Das neue Lieblingsstück in meinem Repertoir, es ist einfach sooo lecker. Es schmeckt wie sauere Apfelschorle und wird serviert in Bierflasche. Auf einmal wird mir ganz heiß und ich verwickle mich mit Kasia, unsere in London wohnende punk Freundin, in ein heftiges, moralisch gepregtes Gespräch über arm und reich, Wirtschaftskrise, Zukunft, Wohnung. Sie erzählt darüber, dass sie 500 Pfund für ein Zimmer bezahlt und dass sie zirka 1200 verdient. Mit zwei Jobs: als Vollzeit Sekretärin und Wochenend Kellnerin. Nachdem sie all ihre Schulden abbezahlt hat, bleibt ihr kaum was übrig, über das Schlafen und Spass haben ist dann auch noch keine Rede. Leider ist ihr Fahrrad auch in Trümmern, da sie ein Auto angefahren hat und sie sich das Arm gebrochen. Jetzt wartet sie darauf, dass der Typ ihr den Schaden bezahlt und sie sind schon vor Gericht. Dann kommen wir auf den Schluß, dass die armen Leute armer werden in der Wirtschaftskrise, und die Reichen lesen es nur in der Zeitung. Eine Claudia Schiffer wird immer genug Geld haben um eine Wohnung für 1000 Pfund pro Woche zu mieten. Kasia ist Sekretärin bei einem luxus Immobilienmarkler und weiss Bescheid wer sich was leisten kann.

Im zusammengleich zu Kasia ist mein Leben noch ziemlich geklärt und jegliches meckern über meine „schwere“ Situation ist lächerlich. Ich habe genügend Freizeit, nimm mir genug Schlaf und kann ein Paar Scheine an die Seite legen für meine Träume…
Aber in London wundere ich mich nicht, dass das Geld sich in kürzester Zeit in Nichts auflöst. Man kann es an zu vielen Stellen ausgeben. Es gibt irre viele Religionen zu leben, Straßennamen, berühmte Geschäfte und zierliche Pubs, die ihren Anteil von der Geldbörse fordern. Wie halt der Papst der Städte...

Freitag, 20. Mai 2011

Ich verstehe den Mann, der Hitler versteht

Ich empfühle für Lars van Trier das Mitleid eines Menschen, der ganz genau weiss, wie es ist sich zu enttäuschen und mit dem Gefühl nicht rechtzukommen. Es stimmt, er hat etwas abscheuliches gesagt, dass er Hitler versteht. Den, den die Gemeinschaft, zu Grund, zum umenschlichstem Mensch der modernen Geschichte, erklärt hatte.
Aber das ist nun mal was ein Künstler macht. Er muss das sagen, er muss versuchen zu verstehen warum Deutschland einen Mann wie Hitler Platz gelassen hat, denn es ist seine Aufgabe die Welt zu zeigen in ihrer ganzen Grausamkeit. Und bis nur Lars Van Trier ein individuelen Weg zu der Geschichte seines Vaters und somit zu sich selbst sucht (wie so viele skandinavische Leute, die in den 40-er, 50-er Jahren, von Besetzern des Deutschen Bundesheers geboren sind), gibt es Abertausende über dessen Rassismus sich Europa nicht empört, obwohl diese Mengen die echte, moderne Gefahr sind. 
Der das Interview gesehen hat in dem er sich äussert, der hört das Zögern in den Worten, hört die Bemühung um etwas zu erklären, das er nicht erklären kann. Der Fehler dieser äusserung - weil ein Geständnis ist es wohl nicht - liegt in der Wahl des Publikums und des Zeitpunktes. Als ob er vergessen hätte, dass Allerwelt soeben Cannes vor den Augen hat, dass sogar besprochen wird ob Brad Pitt oder Johnny Depp die coolere Sonnenbrille trägt. Natürlich dröhnt ein Satz wie dieser somit viel lauter, erschrekender und unmoralischer als sonst: "Ich verstehe den Mann, ich verstehe Hitler".
Große, erfolgreiche, gekürte Künstler, die in ihrem persönlichen Leben unsympatisch, rassistisch, pedofil oder gar alle drei waren, kann man in einem Atemzug auflisten: Thomas Mann, Knut Hamsun, Picasso, usw. Aber was man ihnen nicht wegnehmen kann, dass muss man ihnen lassen - ihre Kunst, ihr Wissen, die Originalität. Wie Madam Chauchats egsotisch-mongolisches Gesicht beinflussend auf weibliche Wesen in unserer Erinnerung steht, wie die entzerrten Figuren Picassos Fragezeichen in uns einbrennen, wie Hamsun das Leiden des nordischen Menschen so schmerzhaft beschreibt. 
Von Trier ist nun gar nicht in diese unsympathische Reihe zu setzen, da er mit seinen Filmen neben marginalen, kleinen, zerqutschten Schichten der Menschheit Platz nimmt. Und er WILL ja auch so. Im Interview sagt er, er dachte er sei Jude, wollte immer Jude sein und auf einmal ist er doch Nazi. Auf einmal kommt die Maske runter und hervorscheint was er nie gedacht oder gewollt hätte - seine blauen Augen, blonde Haare sind nicht die der Erdrückten, sondern die der Erdückenden.
Und Cannes, im unmenschlichem und hochmoralisierendem Ton der Medien, gibt noch einen schwarzen Nazistempel auf seine Stirn, somit Von Trier sich über die Falschheit seiner Bemerkung gar nicht irren kann. 

Ich bin froh, dass Cannes Von Trier, den Regisseur, aus seinem gerottenen Magen herausgespuckt hat. Neue Themen, neue Aufmerksamkeit macht die Luft heiß in der schlappen Filmwelt. 
Nur die zerbrechliche Eitelkeit des einsamen und suchenden Menschen gibt mir das Gefühl ihn umarmen zu wollen und lassen, dass er seinen ungewollten Nazismus mit salzigen Tränen entseucht...