Donnerstag, 27. November 2014

Flohmarkt, Sauna, Chemo

Flohmarkt

 

"Wie geht's eich?" fragt der Gemüseverkäufer am Flohmarkt. Er kommt jeden Sonntag aus Garmisch und hat einen Anhänger dabei, den er an der Seite aufmacht und unter einer Plane stehen dann Äpfel und Birnen und Khaki und Rucola.
Anfangs hat er mich immer über den Tisch gezogen und ich ließ mich von ihm verarschen, weil man das Gemüse anfassen durfte und es mich an mein Zuhause erinnerte. Er ist ein echter Verkäufer. Einmal sagte er, er schenkt mir die Melone, wenn ich ihm das genaue Gewicht sage. Er hat gewonnen und ich habe die acht Kilo dreihundert Gramm Melone gekauft. Heute verarscht er mich nicht mehr und erzählt von seinem Leben. Ich bin fasziniert. Er lebt seit über zwanzig Jahren in einem Wohnwagen. "Wir brauchen nicht's anderes, sind ja ständig unterwegs und auch in den Urlaub fahren wir mit dem Wohnmobil". Dann erzählt er über Istambul, wie toll die Stadt ist. Er war nur zwei Tage dort auf Urlaub, hat aber unsaglich viele Theorien gemacht. Wie unterschiedich die deutschen Türken sind von denen dort in Istambul. Er fragt nochmal ob's uns gut geht, als ob er es heute zum erstenmal tun würde. Ich sage, ja, dabei geht es mir überhaupt nicht gut. Ständig träne ich und meine Nase tropft, es ist schlimm, weil ich unzählige Papiertaschentücher verbrauche und meine Nasenspitze pocht als ob sie ihr eigenes Herz hätte. Auch mit meinem Spiegelbild ist es nicht einfach. Jetzt, dass die Wunde verheilt ist, sieht man das wirkliche Ausmaß der OP: ein wahrhaftiger Krater – dabei meint C. es sei überhaupt nicht schlimm, man sieht es kaum. Ich würde den Krater am liebsten füllen. Das geht aber nicht.

Wir schlendern durch das Chaos der Flohmarktstände. Uralte Skie, unheimliche Puppen, gebrauchte Kleider, Fotos wahllos zusammengewürfelt in einer Kiste. Ganz oben auf der Fotokiste ist ein Bild zu sehen, welches ich mag. Ein Pärchen im Studio, vllt. Ende der dreißiger. Sie im weißen Kleid, er mit einem dünnen Schnurrbart. Der dünne Schnurbart umarmt das weiße Kleid von hinten. Irgendwie rührend. Auf einmal kommt ein Junge. Wir haben was gemeinsam. Er ist acht Jahre alt, zirka, ich siebenundzwanzig. Er trägt keine Mütze. Ist ihm nicht kalt? Er hat nicht nur eine Glatze, auch seine Augenbrauen sind weg. Ich finde es unfair, dass er diesen Scheiß auch machen muss und dabei ist er so jung...

Sauna

 

Wir waren gestern in der Saunawelt in Seefeld. Die Rezeptionistin wollte meinen Studentenausweis nicht annehmen: Der ist abgelaufen. Der ist nicht abgelaufen. Es steht drauf, gültig bis 30. November. Dann kann er nicht abgelaufen sein. Ich bin in kämpferischer Stimmung. Sie haben sich nicht neu inskribiert, ihr Freund schon. Es steht trotzdem schwarz auf weiss, gültig bis 30. November. Dann druckt sie zwei Studententickets.

Kaum was los in der Saunawelt. Trotzdem treffen wir einen Bekannten. Einen alten Paragleiter. Natürlich kennt er C. Ich sitze auf einer Liegematte zwischen den beiden Männern. Sie unterhalten sich über mich hinweg miteinander. Übers Berggehen und Paragleiten. "Ich mag keine lauten Leute", sagt der Paragleiter. "Einmal bin ich mit wem gegangen, der hat tatsächlich eine Mini-Stereoanlage mit am Berg genommen. Hast du sie noch alle?", er zeigt auf seine Stirn. Er sieht wie der totale Redneck aus. C. mag ihn aber, weil er gute Paragleiter-Videos macht und auch Schirmhersteller ist. Am Arm hat der Paragleiter ein Tattoo. Wenn ich mich zu ihm drehe, ist es das was ich aus nächster Nähe sehe. Es ist Rund, in den Rand fließt ein Paragleitschirm ein, unten ist eine Hand – als ob sie eine Wahrsager-Kugel halten würde. Ich spreche ihn aber nicht an, denn anfangs macht er so als ob es mich nicht geben würde. Ich will weg, irgendeine andere Sauna ausprobieren. Wir gehen mit C. hoch in das Panoramabecken und schauen von dort die Berge an und ich frage mich, was das Tattoo wohl bedeutet hat.

Langsam füllt sich die Saunawelt. Gibt es überhaupt so viele Einwohner in Seefeld? Und das an einem Mittwoch-Nachmittag. Es gibt immer Leute, die einem auffallen. Die Saunamenschen: Ein alter Mann mit großer Nase, ein Pärchen bestehend aus altem Mann und junger Osteuropäerin (sehr hübsch, irgendwie total unpassend, aber "es ist besser mit einem netten, alten Herrn zu sein, als mit einem jungen Arschloch, der dich auch noch schlägt"), ein junger Mann mit Glatze. Ihn sehe ich nur einmal, aber auch wir haben etwas gemeinsam. Krebs. Ich habe noch vereinzelt Haare. Auf meiner Kopfhaut, am Rest des Körpers. Er ist sehr sportlich und läuft sehr schnell in das warme Aussenbecken hinein. Er ist ganz nackt. Ich sehe seinen ganzen Körper. Es ist wie ein Brandmark. Ich selbst sehe aber noch nicht aus wie Krebs, denke ich. Ich sehe aus wie ein kleines Hühnhen, dem die flauschigen Federn langsam ausfallen.

Bei der letzten Sauna gibt's Aufguss. Wirklich heiß, ich gehe zwei Minuten vor Ende raus. Schnell duschen, schnell anziehen, wieder mit der Rezeptionistin argumentieren. Diesmal wegen der Parkkarte. Sie gibt uns letzendlich eine und wir fahren Heim und C. sagt, ich war die schönste Frau in der Saunawelt. Danach schaue ich in den Spiegel und denke gar nicht an den Krater in der linken Brust.

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