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Mittwoch, 4. November 2015

Härchen

Es ist schon fast alles beim alten. Nur ist es komisch in den Spiegel zu schauen und kaum Augenbrauen zu sehen. Noch immer nicht. Einen Stift zu nehmen und mir einen zu malen, wie es doch so viele tun, ist mir fremd. Manchmal mache ich es trotzdem, denn ich glaube, dadurch werde ich mich wieder Ganz fühlen. Restauration, sozusagen. Dann vergesse ich aber tagsüber, dass ich mir Augenbrauen gemalt habe und wenn ich mein Gesicht reibe - was ich anscheinend ständig tue - reibe ich meine Augenbrauen halb ab oder verschmiere sie auf meiner Stirn. Ein lächerliches Problem und trotzdem. Diese Augenbrauen stehen nicht nur für Haare, die einem über den Augen wachsen, sondern für meine Identität. Sie bedeuten die Zeit mit meinen Freunden, das viele Lachen, die Capuccinos und Caffe Lattes, sogar die Kotzerei, die am Ende der tollsten Parties folgte und sie sind die Küsse, die ich vergessen habe zu küssen und die anderen Küsse, die ich überflüssigerweise geküsst habe und die Brücken, die Stadtteile aneinander haftete und auch sind sie alles, was mit Unbeschwertheit und Unsterblichkeit zu tun hatte. Und ich habe sie auch noch gezupft! Das würde ich heute nicht mehr tun...

Die Augenbrauen, die meine Studienkollegin immer beneidete. Die mir jeden Tag, wenn wir uns an der Uni getroffen haben, sagte, dass ich die tollsten Augenbrauen habe und meine Tante, die es ebenfalls bei allen unseren Begegnungen bemerkte. Und für mich war es damals natürlich und ein blöder stolz kam in meinem Bauch hoch, aber zwei Sekunden später habe ich es schon vergessen. Heute fallen sie mir jeden Tag ein. Jeden Tag, in der Früh im Spiegel schauend, Zähne putzend, sogar wenn ich in der Arbeit auf Klo gehe. Jedesmal schaue ich mich im Neonlicht an, beuge mich nah an den Spiegel heran und zähle die kleinen Haare, die kommen. Ich frage C. jede Woche: Ich habe schon mehr, oder? Und er sieht in mein Gesicht und fährt mit seinem Finger drüber. Ja, doch ,ja - sagt er euphorisch und wir freuen uns gemeinsam über jedes Härchen, dass stärker als die anderen ist, dass schwärzer als die anderen ist und an diesen Härchen halte ich mich fest.

Mittwoch, 15. April 2015

Marathon

Vor einigen Tagen hat es also angefangen. Der Klinik-Marathon in der Bestrahlungsabteilung. Sechs Wochen "Solarium" für die linke Brust, jeden Tag um acht Uhr in der "Linac 1". Ich weiß gar nicht, was Linac bedeutet. Aber in der Strahlenabteilung gibt es davon fünf. Oft mache ich mir Gedanken, wie sich wohl mein Körper verändern wird und das ich eigentlich nichts machen kann. Dass er sich nicht wegen seines Alters verändert, sondern wegen diversen Vorsichtsmaßnahmen. Dass ich jetzt wie ein Maori angemalt bin und ein blaues Rechteck mit wasserfestem Edding um meine Brust habe, ist eine Sache. Was innerhalb des Vierecks und den quer über meinen Körper gemalten roten Linien in diesen sechs Wochen passiert, das ist eine andere. Erst Vorgestern ist es mir bewusst geworden: Meine Brust ist nach dieser Behandlung nur noch ein Ausstellungsstück. Alles was hinter der Haut und Brustwarze ist, ist dann Pampa, verbrannt, ausgetrocknet, wie in einem Armageddon. Heute tut sie ein bisschen weh - als ob ich zu lange an der Sonne gewesen wäre. Aus meinem Dekollete kommen die Striche heraus. Ich muss sehr komisch aussehen. Mit meinem Baby-Monchichi-Kurz-Haar und dieser "Malerei".
Ich versuche daran zu denken, dass das gut ist. Dass meine Brust nur noch Deko sein wird, keine Milch produziert und überhaupt nichts macht, was es machen sollte, aber dafür auch keine Krebszellen produzieren kann. Es ist aber irgendwie schwierig anzunehmen, dass ich vor einem Jahr noch jung war und stark und gesund und nun etwas an mir nicht mehr stark und gesund sein wird. Und wenn ich einmal schwanger werde, lächerlich aussehen könnte. Weil die eine Brust anwächst und die andere nicht. Blöde Ängste im Vergleich zu dem, was ich gewinnen könnte: Gesundheit auf Dauer.
Mein Marathon ist noch immer nicht zu Ende. Seit Oktober laufe ich, laufe und laufe. Neben Schnee und Wind vorbei, auf Straßen mit und ohne Asphalt, neben Flüßen und Bergen und Blumen und Wiesen und blauen Himmel und weiße Sterne und mein Lauf wird langsamer, Tag zu Tag mühsamer und ich will endlich ankommen, dort an diesen Ort, an dem ich wieder jung und stark und gesund sein kann. Und dabei laufen einige Leute mit mir mit. Ein Stück, schauen mich an, lächeln, bedauern, bewundern, klatschen, lachen, sehen, hören, halten wieder an. Aber wenn ich ehrlich sein will, sehe ich euch nicht, weil ich eigentlich ständig alleine laufe.

Dienstag, 13. Januar 2015

Ein Tag weniger

Meine Tage sind langweilig und niemand kann mir die lange Weile abnehmen. Die Stunden spuren wie Schnecken vor sich hin. Jedesmal versuche ich die Zeit dabei zu erwischen, dass sie schneller geht. Tut sie aber nicht. Sie sitzt in den Ecken, knabbert am Staub, fließt in den Rohren des Kühlschrankes, hört sich wie ein startendes Flugzeug an, dass viel zu langsam rennt und deswegen nicht abheben wird. Ich schaue Serien auf Netflix. Orange is the new black. Auf Englisch. Ich verstehe kaum was. Schaue aber stundenlang zu, wie weiß die Zähne von "Piper" sind oder wie mich "Alex" gleichzeitig an eine alte Freundin und an meine Exstiefmutter erinnert und derweil muss ich nicht nachdenken. Nicht zeigen, wie stark ich bin, wie gut ich das meistere. Ich sitze einfach im Sessel und lasse mich in den Bildschirm ziehen, mich aus meiner Haut fallen, die Hände hängen hinunter, der Fuß ist am Stuhl und ich denke daran, auch dieser Tag muss dann irgendwann zu Ende gehen. Auch in meinem Fenster muss der Abend erscheinen, auch hier wird er kommen und dann ist es ein Tag weniger. Nur weiss ich nicht, für was es ein Tag weniger wird?