Sonntag, 14. Dezember 2014

Nägel

C. hat gesagt, dass der Arzt das schon damals gesagt hat. Dass meine Nägel als Nebenwirkung abfallen können. Deswegen tun sie so weh. Das ist ecklig. Ich denke ans Mittelalter und an Liz Taylor. Weil meine Fingerkuppel so empfindlich sind – als ob ich eine Katze auf dem heißen Blechdach wäre. Wie der Titel des Filmes mit Liz Taylor und Paul Newman. Ein toller Film. Ein scheiße Gefühl. Ans Mittelalter, weil das so grässlich war. Da riss man den Menschen die Nägel raus, um sie von etwas zu überzeugen, dass sie nicht glaubten. Ein Gott, eine Idee, ein König, ein blöder Spruch.

Heute war ich Skifahren am Gletscher im Stubaital. Ein Disneyland aus Eis und Stahl. Eine Vorführshow der neuesten/teuersten/coolsten Wintermode. 8000 Gäste, sagte der ungarische Kellner/Putzmann/Mädchen für alles beim Selbsbedienungsrestaurant außen bei der Eisgratbahn. Wir aßen eine Currywurst mit Pommes und ich fror, weil es windig war. "Und das ist nicht mal so viel", meinte der Ungar weiter. Im Sommer ist er zuhause – "ich mache das seit vier Jahren" – und hat einen Basar am Balaton. Er will mit uns sprechen, mir fließen die Tränen ständig, weil ich draußen bin und das seit einiger Zeit (seit der 3. Chemo) nun so ist.
Ich bin nicht gesprächig, aber es interessiert mich was er sagt und ich versuche es trotzdem. Leider fließen mir die Tränen weiter, auch meine Nase fängt an, und ich suche nach Taschentüchern und kann mich nicht darauf konzentrieren was er sagt. Dann muss er weitermachen – "wir haben eine grässliche Chefin" – und er wünscht uns zweimal viel vergnügen und mir fällt nichts ein, was ich ihm wünschen könnte.
 Dann sitze ich im Restaurant und schaue den Menschen zu, wie unter ihren Jacken Protektore hervorkommen, die wie eine Ritterausrüstung aussehen. Als ob sie nicht zum Spaß auf den Gletscher komemn würden, sondern um zu känpfen, hinzufallen oder sich zu verletzen. Sie trinken schaumiges Bier, welches an Gläsern herunterrinnt und sie essen Germknödel mit Vanillesauce und schwarzen Pünktchen drauf. Ohne schwarze Pünktchen – der Mohn – würden sie mir nicht gefallen. So finde ich Germknödel das hübscheste Gericht am Gletscher.

Dann stehe ich in der Schlange für 15 Minuten um wieder hinunter zu fahren. Letzte Gondel, Rundherum Menschen, mit Skiern, Snowboards, klobrig, robotmäßig. Wir stehen so nah aneinander, wie man das sonst nicht tut in Österreich. Ich denke daran, wenn ich Gletscher wäre würde ich mich aus lauter Wut einfach rütteln – all diese Menschen in mein Eis hinunterschlucken. Die Gondeln, die Drahseile, die Restaurants. Viele kitzelnde Ameisen.

Zuhause nehme ich eine warme Dusche und schaue meine Nägel an. Ich will nicht das sie abfallen. Vielleicht fallen sie ja nicht ab. Vielleicht hat C. das falsch verstanden. Ich lasse das Wasser auf meinen kahlen Kopf fließen. Hinunter am Rücken, an meiner Narbe, am Bauchnabel, am Knie entlang, auf meine große Zehen. Dort spüre ich das Wasser besonders stark. Als ob das heiße Wasser dort mit meinen Zehen zusammenwachsen würde. Ich rieche schon das Fleisch, welches C. für uns in der Küche vorbereitet. Dann steige ich schnell aus der Dusche und suche den Totenkopf aus Zahnpaste. Er ist weg. Ich kann mich nicht entscheiden, ob mich das beunruhigen oder froh machen soll.

Freitag, 12. Dezember 2014

Totenkopf

Schon seit zwei Wochen haben wir einen Totenkopf im Badezimmer. Zahnpaste an den türkisfarbenen Fliesen. Es sieht wirklich so aus: Die Augenhöhlen, der Schädel, dieser leere Platz wo einmal die Nase war. Nur die Zähne und der Kiefer fehlt. Wenn ich am Klo sitze, fällt mein Blick direkt darauf. Oder wenn ich in den Eimer kotze. Irgendwo habe ich gelesen, jeder muss sein "Kotzeimer" haben während der Chemo. Meiner ist vom Hofer. Irgendwann waren mal Äpfel drinnen. Oder Orangen. Und ich habe mir gedacht, der wird noch gut kommen. Ich schmeiße ihn nicht weg. Ohnehin habe ich ihn erst einmal in seiner neuen Funktion benutzt. Wahrscheinlich war die Kotzerei eh nicht von der Chemo. Aber ich bin eine schlechte Kotzerin. Für mich gibt's kaum was schlimmeres. Ich fühle mich immer als ob ich ersticken würde. Ich habe zu viel gegessen, mein Magen macht nicht mit – ich muss lernen, das Essen auch mal liegen zu lassen. Nicht wie ein Hund, alles aufessen, bis es was gibt. Der Eimer ist durchsichtig und hat das Hofer-Logo drauf "Da bin ich mir sicher". Das wird mein Kotz-Slogan. Den Totenkopf putze ich nicht weg. Einerseits, weil ich faul bin, andererseits ist er eine nette Erinnerung an die Sterblichkeit.

Samstag, 6. Dezember 2014

Ordner

Ich denke ständig an Altersheime. In Altersheime an Zimmer. In Zimmer an alte Menschen. In alte Menschen an gebrochene Herzen. In gebrochene Herzen an Erinnerungen und Wünsche. Irgendwie bin ich auch so ein alter Mensch. Die Chemo macht mich fertig. Im Kopf. Sie macht mich müde. Anfangs war ich neugierig, wie das so ist, so eine Chemo. Ich war neugierig auf die Symptome, die mit der Hand zu fassen sind. Kotzen, Gelenkschmerzen, Haarausfall. Ich glaubte, das wär's dann auch. Aber was die Chemo im Kopf macht, ist viel schlimmer und ich denke daran, dass ich nicht mehr will.  Und ich bin erst bei der Hälfte. Alle anderen sagen, ich bin schon bei der Hälfte. Früher hätte ich das sicher auch so gesagt, aber das ist das schlimme an dieser Behandlung. Ich will nicht mehr - und das hätte ich über mich selbst nie geglaubt.

Ich habe einen Ordner. Es steht brustgesundheitzentrumtirol drauf. In diesem Ordner ist alles drinnen, was mein Brustkrebs ist. Ich bin aber unordentlich. Ich fülle es mit Briefen von der TGKK, Tilak, mit Prospekten über vaginale Gleitmittel auf Wasserbasis (einer der schlimmsten Nebenwirkungen: Sex ist einfach als ob ich Glassplitter eingeführt bekommen würde - trotz Gleitmittel) und einem Comicheft in dem Kinder erklärt bekommen, was Brustkrebs ist. Letztere ist das einzige, was mir gefällt. Jedes Mal, wenn ich ins Krankenhaus gehe, wird die Mappe dicker und bunter. Aus irgendwelchem Grund machen sie die Prospekte immer besonders bunt, besonders schön, als ob die ganze Krankheit Spaß machen könnte. Naja, sicher ist es keine Lösüng alles grau und schwarz zu machen. Das ist auch nicht die richtige Farbe. Es gibt einfach keine richtige Farbe für eine Krankheit.

Ich hasse Papierkram. Ich weiß nie, was wichtig ist, was nicht. Was darf ich wegschmeißen, was auf keinen Fall. Letztens habe ich wieder den falschen Pass mitgebracht. Statt Chemopass den Ambulanzpass. Der Chemopass ist blau und in ein Plastik eingehüllt. Da schreibt Dr. Salzer meine Gifte hinein. 120 mg, 572,15 mg und 600 mg. Mein Cocktail, der danach durch meine Adern rast. Wie ein verrückter Ritter schlägt er mich mit seinem Schwert von innen, so stelle ich mir meinen Cocktail vor. Rot, im Panzer, schwer, verrückt. Ich habe heute zum erstenmal in den Pass geschaut. Seit der ersten Chemo habe ich mehr Leukozythen und weniger Trombozythen. Es könnte auch sagen, ich habe mehr asjoékéaksék und weniger posdjfopjpga. Was ich definitv habe ist "keine Ahnung". Das macht mich auch ziemlich fertig.   

Ich war heute mal spazieren. Hier hinter dem Haus, Richtung Klamm. Es tat mir wirklich gut. Frische Luft belebt, auch wenn man es beim losgehen überhaupt nich glaubt. Andere Spaziergänger waren mit ihren Hunden unterwegs. Alle. Wenn ich Leute mit Hunden alleine unterwegs sehe, denke ich immer daran, dass die Abendkultur vereinsamt. Die Menschen sich nur noch mit Tieren verstehen können oder überhaupt nicht mehr. Wie dieser Mann, der in Innsbruck in einer Wohnanlage gestorben ist. Nur dann fiel er anderen auf, als man seine Leiche schon im Flur riechen konnte. Schnell geht das. So zu vereinsamen. Und man brauch nicht einmal irgendwelche unmöglichen Probleme haben. Man muss nur ein bisschen blöd sein. Das Telefon nicht abheben, wenn Freunde anrufen - weil man einfach mit niemandem sprechen will (gleichzeitig will man und will man nicht). Hilfe nicht annehmen, wenn sie angeboten wird - weil man es ohnehin alleine schafft (man schafft es nicht und auch nicht zu zweit). Nicht ausgehen - weil man sparen will oder zu faul ist, sich "hübsch" anzuziehen. Und nach einer Weile bleibt man stecken und je länger man im "nihil" steckt, umso schwieriger wird es wieder herauszukommen.

Ich dachte an meine Oma, die 93 Jahre alt geworden ist. An ihre Ordner in ihrem Haus. Wie sie schon mit 80 von ihrem Sohn abhängig war, der ihren Papierkram erledigte. Alle zwei Wochen. Wenn er zu Besuch kam. Obwohl die Oma noch so klar im Kopf war. Das sagte man immer über ihr, weil sie das Radio hörte und bis zum Ende wusste, wer die aktuellen Minister im Parlament waren. Klarheit macht Angst, an Klarheit verzweifelt man, vielleicht ist es besser für einen selbst, wenn man diese Klarheit einfach verliert.

Ich habe diese Situation vor meinen Augen: Meine Oma in ihrem riesigen Zimmer, links der dicke, dunkle Holzschrank, oben ihre Ordner. Mein Vater (ihr Sohn) streckt den Arm aus, nimmt einen der schwarzen Ordner herunter, meine Großmutter pfeifft "Nein, Jostikám, den anderen - ich will erst den anderen". Mein Vater sagt nur, das hier ist viel wichtiger und Oma bleibt still, weil sie keinen Einfluss darauf hat, was mit ihren Dingen passiert, was ihr aus dem Geschäft gekauft wird, was sie zu Mittag zum Essen bekommt. Vielleicht hat sie deswegen die Hausierer geliebt, die Zigeunerinnen mit den Kissen und Decken am Rücken, die ihr durch das Fenster ihre Waren anboten und sie konnte wählen, ob sie die Daune nimmt oder die Schafwolle. Und an Weihnachten schenkte sie mir die Schafwolldecke und ich fand die Decke fabelhat und ihre Augen strahlten und sie kicherte leise und gerissen und ihr Kopf wackelte, weil sie Parkinson hatte. Mein Vater verscheuchte die Zigeunerinnen immer sehr laut. Wir kaufen nichts und schlug das Fenster zu.




Dienstag, 2. Dezember 2014

Brief

Immer ist es das gleiche. Mit oder ohne Fasten. Die ersten Tage nach der Chemo geht's gut und dann fällt alles auseinander. Dann sehe ich meinen Körper, wie aus dem All, dann fühle ich meine Nägel, wie angeklebt, dann bleibe ich mit den restlichen Stoppeln im Kissen hängen. Ich bewege meine Beine, meine Arme, aber sie sind immer ungemütlich, unpassend. Sie sind heiß oder kalt, sie sind steif oder zu weich. Meine Augen als ob sie auch von jemand anderem wären. Meine Hände, als ob sie von ganz weit kommen würden, bis ich mit ihnen mein Gesicht, meine Knie, meine Füße anfasse.

Wie der Brief von meiner Tante. Wer schreibt schon Briefe, heute. Seitdem ich Krebs habe, ist das nun der zweite Brief von ihr. Mit richtigen Wörtern, Buchstaben, Unterschrift. Nicht eine Postkarte. Nicht schön oder zierlich. Einfach nur ein Brief. Hat mir gestern der Postmann gegeben. In die Hand. Er hat zweimal geklopft, so stark an der Tür, dass ich aufstehen musste und öffnen. Sonst fällt er noch samt Tür ins Haus. Vier Briefe. Greenpeace, Tilak, Ärzte ohne Grenzen und das von meiner Tante. Sie hat eine schöne Schrift. Sie ist ein bisschen verrückt und deswegen wundert es mich, wie schön und geregelt ihre Schrift ist. Sie zittert auch stark, aber das merkt man an den Buchstaben kaum. Ich habe auch viele Briefe geschrieben, einige habe ich auch bekommen. Vor allem von meiner Schwester. Als es noch kein Internet gab und das Telefonieren teuer war. Die habe ich noch immer. Ich wahre sie in Bonbonschachteln auf, sie sind im Schrank bei meinem Vater. Und wenn ich ab und zu nach Ungarn fahre, mache ich die Schachteln auf und lese die Briefe bis weit nach Mitternacht und bin den nächsten Tag müde.

Ich liege also im Bett mit den vier Briefen. Ich lasse Greenpeace und Ärzte ohne Grenzen einfach auf C.-s Betthälfte liegen und öffne den kleinen, weißen Umschlag. Ein A4-Blatt in Hälfte gefaltet, dann quer drauf losgeschrieben. Kedves A. – Liebe A. mit Diminutiv. Und große, luftige Zeilen, in fünf Minuten ist das ganze gelesen. Ein so großer Aufwand. Briefumschlag besorgen, auf die Post gehen, in der Schlange stehen und in einer Woche bekomme ich die Paar Zeilen. Wir sprechen kaum mit meiner Tante. Sie lebt in Ungarn, in meinem Heimatort und dorthin fahre ich kaum mehr, seitdem die Oma tot ist. Eigentlich ist ja immer alles beim Alten. Nur, dass sie (meine Tante und mein Onkel) auch von Jahr zu Jahr älter werden, weniger oder mehr essen, das Bad renovieren und sich nach ihren Kindern sehnen, die im Ausland oder in einer anderen Stadt leben. Dann sprechen wir ab und zu an meinem Geburtstag.

Meine Tante schreibt über ihre Kinder. Der kurze Brief macht mich zutiefst traurig. Mit meiner Cousine und meinem Cousin habe ich schon seit Jahren nicht gesprochen. Meine Cousine hat lange in Dänemark studiert und lebt nun mit ihrem Freund seit vielen Jahren dort. Sie muss jetzt um die 33 Jahre alt sein. Sie arbeitet in einem Lager und sortiert Ersatzteile (die übrigens in Ungarn hergestellt wurden). Ihr Freund ist "Mädchen für Alles" bei einer Familie, versorgt die kranke Mutter, füttert die Tiere am Bauernhof. Meine Tante schreibt: Sie sind mit ihrem Lohn zufrieden, aber wollen natürlich nicht von hier in die Pension gehen. Scheiße, denke ich mir nur und irgendwie erdrückt mich die ganze Misere. Die vielen Kinder, die mit ihrem Diplom in den Westen gehen, ihre Eltern verlassen und dann doch nicht Fuß fassen können. Es drückt schwer auf meiner Lunge und meinen Augen. Als ob ich diese Misere hätte. Als ob das auch mit mir in jedem Moment passieren könnte. Wusch, der Teppich weg unter meinen Füßen. Eine Krankheit, etwas das dich aus dem Konzept bringt. Das Leben ist ja nur ein Kartenhaus. Ich lege den Brief zu den anderen auf C.-s Betthälfte und denke an die letzte Zeile, die meine Tante geschrieben hat. "Wir haben keine Berge, aber wenn Ihr die Möglichkeit habt, sehen wir euch gerne." Ich bleibe aber liegen und glaube, dass alles zu vergänglich und skurril ist.