Donnerstag, 23. Mai 2013

Die Sehnsucht ist ein Muttermal

Also ich begegnete den Bergen zum erstenmal in 2009. Sie sahen grandios aus. Wie die Postkarten von meiner Urgroßmutter aus Kanada. Nur nicht in schwarz-weiß. Berge und ihre Gipfel. Themen für Postkarten oder kitschige Naturmalerei, rote Wolken und grüne Bäume. Nur ihre Gefahren, das kennt man halt als Flachländerin nicht. Auf Postkarten gibt es keine Lawinenabgänge, in einem Gemälde erfriert man nicht im Schneesturm und auf Fotos über roten Wolken fühlt man nicht den eisigen Wind von dem die Knochen erstarren.

Kiss Péter, Erőss Zsolt, Kollár Lajos és Jaroslav Dutka. Bild:www.himalajaexpedicio.hu

Zsolt Erőss und Péter Kiss sind (waren?) einer der wenigen Ungarn, die sich in das Bergsteigen verliebt haben. Die fähig dazu waren Gipfel zu lieben, ihre eigenen Körper bis zu den Grenzen zu drängen, um solche Gipfel unter ihren Füßen spüren zu dürfen. Auf ihnen stehen, wie auf gezähmten Rößen. 
Und jetzt gelten sie als verschollen. Sie liegen wohl irgendwo am Himalaya, werden zu kalten Eismumien am Berg und zu Erinnerungen im Gedächtnis der Geliebten.

Ich werde sie nie verstehen, ich fürchte mich zu sehr von diesen Riesen. Mir steht die Pußta auf die Stirn geschrieben, in meinem Blut fließt die Sehnsucht nach unendlichen Weiten, nach einem Horizont in welchem der Blick nicht stolpert, in welchem die Sonne keine Hindernisse hat, wo keine langen Schatten die Täler schwarz auffressen. Und trotzdem lebe ich hier. Warum? Weil es gemütlich ist. Weil ich Geld verdienen kann und es auch ausgeben. Weil ich Urlaub machen kann und studieren. Und trotzdem frage ich mich immer wieder: Macht es Sinn in einem Land voller Berge, Schatten, Lawinen und Schneestürme zu leben, wenn man Angst davor hat, sie zu zähmen zu versuchen und Gipfel zu besteigen? Was bleibt mir übrig? In Tirol gibt es Arbeit, Berge und Kühe. Ist das was ich im Leben suche?

Die zwei ungarischen Bergsteiger ging es umgekehrt wie mir. Sie suchten genau das, in was ich lebe. Sie wollten Schneestürme, sie wollten wilde Gipfel, sie wollten der Natur beweisen, dass sie sie kennen. Und sie kannten sie gut genug. 2010 verlor Erőss ein Bein bei einem Lawinenabgang in der Hohen-Tatra. Er sah der Natur schon einmal in die Augen und tanzte den Tango auch mit halben Bein weiter. Warum? Weil man sich die Sehnsucht nicht auswählt. Sie ist da, wie ein Muttermal, sitzt auf unserer Seele, peitscht unsere Gedanken und lenkt unsere Taten. Irgendwo sind wir doch alle Bergsteiger.