Donnerstag, 3. Oktober 2013

Mobbdachlose

Orbán macht und Orbán tut und er tut es schnell und er tut es, wie er will. Obdachlose werden ab Ende September bestraft, denn sie liegen auf öffentlichen Plätzen, wo sie niemand sehen will, wo sie niemand riechen will. Orbán ist besser als Houdini. Ein Illusionist. Er macht uns vor, dass wir alle in einer schönen, sterilen Welt leben können, in dem es keine Obdachlosen gibt und dann vllt. bald auch, dass es keine Behinderten mehr gibt und später werden vllt. auch die Dicken nicht mehr zum Stadtbild gehören. "Was für ein Glück". Und dann gibt Orbán noch 27 Millionen Euro für die Versorgung der Obdachlosen aus und 1,2 Millionen Euro an Organisationen, die sich damit beschäftigen. Und es gibt mehr Übernachtungsplätze als Obdachlose, sagt auch im weiteren die Webseite der Regierung.  Und die Organisationen sagen, dass das nicht so ist. Siehe auch Botschaft von Ungarn

Und dann das hier in Innsbruck, dass man nun "die Verrückte", die zwischen Inn und Tiefgarage, bzw. Kaffeeautomat im Untergeschoß, mit ihrer Ohrenlappenmütze und den abgeschnittenen Handschuhen aus dem Gebäude weist. Dass es der Uni wichtiger ist den Österreichischen Wachdienst mit Kontrollen zu beauftragen, als ein bisschen wegzuschauen und mal alternativ zu bleiben. Man erschreckt sich doch nur zum erstenmal, wenn "die Verrückte" anfängt zu schreien, danach gehört sie zum Bild. Und sie schreit ja nur am Inn. Im Gebäude habe ich sie nur murmeln hören.  Aber sicher, Sicherheit ist das Erste und Kaffee trinken das Zweite, denn oft kommt mir vor, dass man als Student eh nichts anderes macht. Kaum sind Vorlesungen besser besucht als das Büffet. Und dort kann man auch schön beobachten, was jetzt so die Mode ist und sich total falsch am Ort fühlen, denn man fühlt sich auf dem Laufsteg und da gehören nunmal sicher keine Obdachlosen hin... Wie sieht das denn aus? In einer Ecke sitzt der schwarze Brillenträger mit seinem Mac und in der anderen der Obdachlose mit dem Ottakringer. Naja, das ist wie halt unsere Gesellschaft in der Realität ist und deswegen frage ich mich, warum man so stelisieren muss und ein Orbán-ähnliches Spiel vorspielen, welches es nicht gibt. Das ist doch auch irgendwie, wie Mobbing, nur an Leute die es sowieso schon miserabel genug geht... Siehe den Brief der Vizerektorin, welches jeder Student bekommen hat.

Europa ist doch einhaltlicher, wie man das so auf den ersten Blick meint...

Freitag, 27. September 2013

Nonstop einkaufen in Innsbruck

Nonstop, Geschäft, Innsbruck - ein Wiederspruch?

 

Tirol, bzw. Österreich, ist ein Land in dem Geschäfte zumachen, wenn jeder Zeit hätte, hineinzugehen. Ungarn ist ein Land in dem jedes Dorf ein "Nonstop" hat, in denen von kleinen Pálinkaflaschen bis frisch gebackenem Brot und Tampons alles zu kriegen ist

Und wenn man aus so einem Land kommt, in dem man sich als Konsument ganz selbstverständlich von unglaublichen Öffnungszeiten verwöhnen lässt, kommt es anfangs schon mal vor, dass man in Innsbruck mit knurrendem Magen zu Bett geht. Aber gewöhnen kann man sich an alles und was zum Beginn als unmenschlich galt, ist mittlerweile gewohnter Alltag.

Auch, denkt man mittlerweile anders. Bisschen empatischer. Dass doch die armen Männer und Frauen nicht so lange hinter einem Pult stehen sollten, mit schwellenden Fußgelenken, und das es jedem vergönnt ist einen Feierabend zu haben, auch wenn man die Kokosmilch vergessen hat. Und jetzt ehrlich, wer braucht Kokosmilch, wenn es doch einen Milkomat gibt?

Der Milkomat

 


 Milkomat. Ein Unfug an Wort. Ich schmatze liebensgerne darauf herum und knüpfe es, so oft es mir gelingt, in meine Alltagsgespräche um Schwung hineinzubringen. Ich denke an Superman, an Milkomat, das die zwei irgendwie zusammengehören. Tamtatatam, fliegende Sternchen und boom das Bild, Musik, Chor: Milkooomaaat. Tolle Idee. Ich zeige den Milkomat jedem Besucher, der aus Ungarn kommt als Beweis, dass es sich im Westen tatsächlich gut leben lässt. Milkomat und Papa, Milkomat und Bruder, Milkomat und beste Freundin - das Fotoalbum ist reich an Bildern mit Milkomat.

Der Milkomat ist wirklich toll. Nicht nur so ein bisschen toll. Man geht hin, schmeißt ein Euro rein, stellt die Milchkanne darunter und bekommt einen Liter Milch, wie es die Kuh von sich gegeben hat, nachdem man sie mit schwarzen Plastikschläuchen  angezapft hat. Trotzdem, noch immer toll.
 
Einige Milkomate - z.Bsp. der in Amras in der Philippine-Welser-Straße - verkaufen sogar Eier und Joghurt, andere sogar auch Käse (das habe ich in Pinzgau, in Salzburg gesehen). Bin total von den Socken von so einer Sache. Und man kann in der dunkelsten Nacht hingehen und sich bedienen. Um drei Uhr in der früh, um zwei am Nachmittag, wann immer auch die Lust kommt sich mit Milch einen weißen Schnurrbart zu malen.
Als Studentin und Kellnerin hat man auch immer das nötige Kleingeld für die Sache. Übrigens koche ich die Milch nie auf und lass mich überraschen: Was kommt, das kommt.

Und so viel kann man aus roher Milch machen! Vor einer Woche zum Beispiel, habe ich experimentiert. Was mir mein Onkel schon hundertmal in Ungarn erklärt hat und ich es auch noch über Skype erklärt bekommen habe, musste ich letzendlich noch einmal im Web suchen. Aludttej, die "eingeschlafene Milch".
Einfacheres gibt es eigentlich nicht - verstehe im nachhinein gar nicht, wieso ich das so oft erklärt gebraucht habe.

Die rohe Milch in eine Tasse, mit Küchenpapier abdecken und auf einen warmen Platz (in der Nähe eines Heizkörpers z.Bsp.) für 1,5 Tage stellen. Danach bildet sich auf der Oberfläche Sauerraum. Das nimmt man mit einem Löffel ab und darunter ist die flüßigere, säuerliche "eingeschlafene Milch" - ich glaub, deutsch nennt man das Buttermilch, schmeckt herrlich.

Ich bin wahrhaftig besessen von meinen neuen Entdeckungen. Wie billig das Leben sein kann, ich brauche keinen Supermarkt, keine Öffnungszeiten, leckt mich doch alle, ich habe einen Milkomaten, ein Euro und ich habe Milch zum Schwarztee in der Früh, Sauerrahm für meine Suppen und Buttermilch zum Frühstück oder Abendessen. Aber auch Kefir und Joghurt kann man daraus machen und sogar Käse und Butter. Habe alles im Internet gefunden und ausser Butter - das ist für mich ein zu großer Aufwand und ich esse auch gar keine - kann ich alles machen, Es ist möglich dies in der winzigsten Wohnung und im winzigsten Zimmer zu machen, vorausgesetzt mas scheut sich nicht den Raum mit garrender Milch zu teilen.

Kleiner Hinweis für Milkomaten in Innsbruck:

- Karl Innerebner Str. 68 - Allerheiligen (der O-Bus fährt die Richtung, wer sich nicht auf das Rad setzen will)

- Philippine Welser Str. - Amras (Hausnummer weiß ich nicht, aber es gibt einen schönen Trinkbrunnen und das Gasthof Kapeller gegenüber; T-Bus fährt die Richtung)

- in Hötting soll es auch noch einen geben (kenne ich leider nicht)

  Kürbisstand


Und dann gibt es im Herbst noch die Kurbisstände. Wo am Straßenrand Hunderte Kürbise, Tag und Nacht, auf ihre neuen Besitzer warten. Man geht hin, wählt aus, zirka sechs verschiedene Sorten - ich kann nur den Hokkaido benennen, der sich, wie ein japanischer Kampfruf anhört - und dann schmeißt man das Geld in die länglichen Büchsen, die einen irgendwie an die Ritterausrüstungen des Mittelalters mit ihren dünnen Schlitzen und der komischen Überdachung, erinnert. Danach kann man zuhause eine Kürbissuppe machen. Ich kenne ein tolles Rezept, man braucht nur:

- 500 g Kürbis (in Würfel schneiden und nicht schälen),
- eine Zwiebel,
 - einen Liter Gemüsebrühe --> kocht es zusammen, püriert es und gibt
- 1/8 L Kokosmilch dazu und kocht es kurz auf

Scharf oder mit Muskatnuss, mit oder ohne Sauerrahm. An einem kalten, grauen Herbsttag gibt es kaum etwas besseres und aufmunterndes, wie diese unwahrscheinlich orange-leuchtende Creme-Suppe.

Tankstellen 

 

Tankstellen kommen eigentlich dann in Frage, wenn Bier, Tabak oder Papier zum Drehen fehlt. Die Begegnungen mit Tankwärten sind dann schon weniger romantisch. Von der dunklen Straße in das Neonlicht der Colas und kleinen Schokoladen, den vorverpackten, dreieckigen Brötchen und dem Personal in einer der ungünstigen Dienstanzüge, immer mit Schatten unter den Augen und einer Baseballkappe am Kopf. Hier kann man die skurrilesten Begegnungen machen und die unerwartesten Kommentare hören. Und Bier kaufen, kaltes, zu einem Preis, das zwischen Supermarkt und Gasthaus ist und zur dieser Zeit in Günstigkeit und Erreichbarkeit unübertreffbar.
Danke Tankstelle, dass du die Großwelt um zwei Uhr in der früh in Innsbruck vertrittst!

Donnerstag, 23. Mai 2013

Die Sehnsucht ist ein Muttermal

Also ich begegnete den Bergen zum erstenmal in 2009. Sie sahen grandios aus. Wie die Postkarten von meiner Urgroßmutter aus Kanada. Nur nicht in schwarz-weiß. Berge und ihre Gipfel. Themen für Postkarten oder kitschige Naturmalerei, rote Wolken und grüne Bäume. Nur ihre Gefahren, das kennt man halt als Flachländerin nicht. Auf Postkarten gibt es keine Lawinenabgänge, in einem Gemälde erfriert man nicht im Schneesturm und auf Fotos über roten Wolken fühlt man nicht den eisigen Wind von dem die Knochen erstarren.

Kiss Péter, Erőss Zsolt, Kollár Lajos és Jaroslav Dutka. Bild:www.himalajaexpedicio.hu

Zsolt Erőss und Péter Kiss sind (waren?) einer der wenigen Ungarn, die sich in das Bergsteigen verliebt haben. Die fähig dazu waren Gipfel zu lieben, ihre eigenen Körper bis zu den Grenzen zu drängen, um solche Gipfel unter ihren Füßen spüren zu dürfen. Auf ihnen stehen, wie auf gezähmten Rößen. 
Und jetzt gelten sie als verschollen. Sie liegen wohl irgendwo am Himalaya, werden zu kalten Eismumien am Berg und zu Erinnerungen im Gedächtnis der Geliebten.

Ich werde sie nie verstehen, ich fürchte mich zu sehr von diesen Riesen. Mir steht die Pußta auf die Stirn geschrieben, in meinem Blut fließt die Sehnsucht nach unendlichen Weiten, nach einem Horizont in welchem der Blick nicht stolpert, in welchem die Sonne keine Hindernisse hat, wo keine langen Schatten die Täler schwarz auffressen. Und trotzdem lebe ich hier. Warum? Weil es gemütlich ist. Weil ich Geld verdienen kann und es auch ausgeben. Weil ich Urlaub machen kann und studieren. Und trotzdem frage ich mich immer wieder: Macht es Sinn in einem Land voller Berge, Schatten, Lawinen und Schneestürme zu leben, wenn man Angst davor hat, sie zu zähmen zu versuchen und Gipfel zu besteigen? Was bleibt mir übrig? In Tirol gibt es Arbeit, Berge und Kühe. Ist das was ich im Leben suche?

Die zwei ungarischen Bergsteiger ging es umgekehrt wie mir. Sie suchten genau das, in was ich lebe. Sie wollten Schneestürme, sie wollten wilde Gipfel, sie wollten der Natur beweisen, dass sie sie kennen. Und sie kannten sie gut genug. 2010 verlor Erőss ein Bein bei einem Lawinenabgang in der Hohen-Tatra. Er sah der Natur schon einmal in die Augen und tanzte den Tango auch mit halben Bein weiter. Warum? Weil man sich die Sehnsucht nicht auswählt. Sie ist da, wie ein Muttermal, sitzt auf unserer Seele, peitscht unsere Gedanken und lenkt unsere Taten. Irgendwo sind wir doch alle Bergsteiger.

Dienstag, 22. Januar 2013

Protestieren in Ungarn: Eine postkommunistische Entdeckung


Budapest vom Gellért-hegy
Es ist ein Gespräch im Bus. Von der Maria Theresien Straße bis zur Technik. Wie die Studenten schweigen. Sie schweigen hier und sie schweigen in Deutschland und sie schweigen in Ungarn und zu der Zeit (zirka 1968) als die gesprächsführende Dame noch jung war, haben die Studenten nicht geschwiegen. Die Studenten waren der Müll der Gesellschaft, der Satz im Kaffee, die Eierschale im Kuchen, der Stein im Schuh, alles von was der Staat kotzen musste. Ich horche ihr zu. Sie hat ja irgendwo recht. Eben ich müsste auf die Straße gehen und Polizisten bespucken, ich müsste Graffitis an die Wand spritzen "mehr Rechte für Asylwerber", "Rassists are lonely" und ähnliches. Aber ich mach' nix. Ich habe Ausreden. Ich muss immer arbeiten um mich über Wasser zu halten. Drei Jobs - die hab' ich - keine Freizeit zum protestieren. Ich muss zugeben, ich tu mir auch selbst leid - na klar, ich renne von Arbeit in die Uni und dann nach Hause um etwas zu essen um gleich darauf in die nächste Arbeit zu rennen. Der Hamsterkäfig, Kapitalismus. Mal einen ungerechten Polizisten zu beschimpfen oder den Strafzettel nicht bezahlen, das trau ich mich irgendwie nicht. Weil es einem hier doch so gut geht. In Österreich gibt es doch alles. In Tirol gibt es sogar mehr. Coole Infrastruktur, soziale Hilfen, Arbeitlosengeld, Notsandhilfe, Stipendien, Freizeitticket für etliche Skilifte und Schwimmbäder, Flohmärkte mit Sachen die man noch benutzen kann, "verschenke meine Küche, meine Schuhe, meine Waschmaschine, mein Kühlschrank", für jeden ein Smartphone mit Vertrag und auch im Keller Internet und Downloads für immer und ewig. Was soll ich bitte protestieren? Zum verändern muss man weg.
Schatten mit stolzer Kokárda am Herz

Die Knochen brechen, protestieren lernen

Ihre Töchter sind weg, erzählt sie mir im Bus. Ich sage, ich bin auch weg. Aber nicht weil ich protestieren will. Dann wäre ich in Ungarn geblieben. Weil, erkläre ich ihr weiter, in Ungarn, da muss man erstmal das Streiken lernen. Dort sind drei Generationen mit der Repression des Kommunismus in den Knochen aufgewachsen. Brechen wir die Knochen, setzen sie in Schiene und sehen zu ob es heilen kann. Knochen brechen schon, du weisst nur nichts davon, sage ich ihr. Proteste und Bewegungen haben den Ungarischen Staatspräsidenten Schmitt Pál nach seinem Plagiat gestürzt. Vor fünf Jahren wäre das nie passiert. Noch immer organisieren sich die Studenten gegen die Studiengebühren und die niedrigen staatlich finanzierte Plätze an den Unis. Etwas bricht, etwas kocht, was daraus wird? Das sieht man mit der Zeit. Aber, dass Ungarn nicht nur ein von politisch korrupten Politikern geführtes Land ist, welche extrem rechte Parteien ins Parlament schickt, dass will ich dir zeigen
Ich schweige nicht, ich sage es dir, ich sage es mit meinen Buchstaben, ich will eine bessere Welt, aber weiss nicht, was eine bessere Welt ist, denn ich denke, ich lebe schon darin. Und werde ich besser, weil ich den Müll trenne? Werde ich besser, weil ich mit dem Fahrrad fahre? Ich habe ein gutes Gewissen und wenn ich nach Hause gehe, meine Familie in Ungarn zu besuchen da bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Weil ich den Müll nicht trennen kann und kein Fahrrad habe und weil ich nicht weiss, warum Österreich so ein verdammt reiches Land ist und in Ungarn alles verschissen. Und dann bin ich wirklich stolz auf meine Freunde, die in Ungarn auf die Straßen gehen und Transparente in die Höhe halten, sich für ihre eigenen Rechte einsetzen und aus einem verschissenen Land das beste herausholen wollen. Und das hat ihnen niemand gezeigt, ihre Eltern haben das nie gemacht. 

Und ich sitz' hier in Tirol verschneit und glücklich und "reich" und langsam, langsam verstehe ich nicht mehr, warum ich aus meinem Land weggegangen bin, wenn es doch so schön auseinanderbricht und brodelt...