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Dienstag, 6. Januar 2015

Madonna

Am Bus zum Krankenhaus nimmt C. die kleine TT in die Hand. Blättert darin, Skispringer, Kleinanzeigen, Nachrichten, auf der letzten Seite endlich die Tabloide mit einem Bild von Madonna. Wir sehen uns ähnlich: Kleine Augen, geschwollene Backen – ihre von Botox, meine von der Chemo. Die Therapie hat mein Gesicht neugemalt. Ich erkenne mich kaum im Spiegel und wenn ich die Bilder der ersten Therapiesitzung mit heute vergleiche vergeht mir der Mut. Wie ein kaltherziger Maler hat der Krebs meine Züge neugestaltet, wie ein Architekt ohne Plan, wie ein Tischler ohne Hobel. Und ich bin machtlos. Auch wenn ich probiere mich selbst anzumalen, einen Plan oder eine Hobel zu finden, empfinde ich es nur als lächerlich. Wie eine alte Diva, die sich nicht abfinden kann, dass die Zeit sich auch aus ihrer Schönheit ernährt. Aber es ist verdammt schwierig sich damit abzufinden, dass an Weihnachten und Sylvester nur solche Familienfotos entstanden sind, an dem ich einfach nur fremd und unglücklich aussehe. Dabei fühle ich mich nicht besonders unglücklich oder fremd, nur die Reflexion zeigt mich so und das erschreckt mich.

Selfie mit Elfi, dem treuesten Plüschelefanten.
Ich war zwei Wochen – über Weihnachten – in Ungarn. Es war komisch dort im Plattenbau, in der Zwei-Zimmer-Wohnung meines Vaters. Die Rohren sprachen, der Wind peitschte an den Rollläden und ich lag in meinem alten Bett – eigentlich ein Sofa aus den 70-ern – und traute mich nicht Schmerzen zu haben. Dabei freute ich mich auf meinen Vater – er ist ein guter Krankenpfleger –, auf meine Muttersprache, auf die Rindfleischsuppe, den Pusztasalat, die eingelegten, kleinen, sauren Melonen. Neue Nebenwirkungen kamen. Hitzewallungen. Ich saß oder lag irgendwo und wie ein Tsunami brachen meine Poren aus. In einem Moment war mir heiß und im nächsten war ich klitschenass. Ich konnte nicht schlafen. Nicht nur wegen den Hitzewallungen, auch weil drei Stockwerke unter uns Freunde sich trafen und dabei Technomusik hörten und probierten diese zu überdröhnen und ein Gespräch zu führen. Am ersten Abend in Ungarn ging das so bis ungefähr 5 Uhr morgens und dann war ich schon komplett erschöpft, wie ein Marathonläufer den die Gelsen mit ihrem ständigen Sümmen nerven. Ich brach fast in Panik aus: So wird es noch zwei Wochen weitergehen und ich kann nicht weg von hier? Dann fühlte ich mich plötzlich alt und erbittert. Wie mein Vater sein kann. Und ich erschauderte und probte vor dem Spiegel und setzte mir künstliche Gesichter mit guter Laune auf um nicht, wie mein Vater auszusehen. Nach dem dritten Tag gab ich auf und ließ die miese Stimmung auf mir sitzen. Ich war endgültig erschöpft und konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich die letzte Nacht durchgeschlafen habe oder wenigstens mit einem erholten Gefühl am Morgen aufgewacht bin. Irgendwann kam Weihnachten, Baum schmücken, Weihnachtsessen essen und Weihnachtslieder singen. Meine Familie war da, aber ich war so weit. Heuer konnte ich nicht einmal Geschenke besorgen, konnte ich den Kalender für meinen Vater nicht zusammenstellen, die Stirnlampe für meinen Bruder finden, den Leatherman für C. Jeder bekam irgendwas und es war mir egal. Nur als ich dann selbst Geschenke bekommen habe, gut durchdachte, schöne und praktische Sachen, hatte ich kurz ein schlechtes Gefühl.

In den zwei Wochen habe ich meinen Vater sprechen lassen und hörte ihm nicht immer zu. Aber das machte ihm nichts aus und ich glaube er war froh, dass ich nicht weglaufen konnte und er mir erzählen durfte. Über seine Kindheit, über die Stadtregierung, über seine gesundheitlichen Beschwerden. Nur wenn er sich über mich gebeugt hat, mit Tränen in den Augen, mit einem supertraurigen Blick, dann musste ich ihn wütend rausschicken. "Lass mich in Ruhe, ich will keine Mandarine, keinen Tee, kein Brot mit Salami". Irgendwie ist es gleichzeitig schön, dass jemand mich so lieb hat, wie er und gleichzeitig nervig, dass ich meine Krankheit ständig in seinem Gesicht sitzen sehe. Er wollte, dass ich nach jeder Chemo – es sind noch zwei – nach Hause zu ihm komme. Zehn Stunden im Zug und dann die pfirsichfarbene Wände anschauen und Warten, dass die Schmerzen weniger werden. Er meint es ja nur gut, aber das ist nichts für mich, wenn ich wie eine kranke behandelt werde – ich lasse mich zu sehr auf die Rolle ein und dann ist es viel schwieriger aus ihr wieder herauszukommen. Ich bleibe lieber bei meinem Keller, dem kleinen Chaos und C. der mich nicht, wie eine kranke behandelt, sondern mit mir lacht, wenn ich ihm sage, dass ich wie Madonna aussehe oder wie gespiebene Gerstlsuppe.

Montag, 17. November 2014

Hand


Ich habe gar nicht gemerkt, dass er die Hand auf meinen Rücken gelegt hatte. Auf diesem Foto sah ich nur meinen Kopf, von hinten, wie ein dick eingewickeltes Ei. Nur als ich zum zehnten mal das Bild ansah, bemerkte ich die knochige Hand. Meines Vaters. 

Wir hatten unsere Kämpfe – das würde so in einer Frauenzeitschrift stehen, unter der Rubrik Schicksal/Reportage. Wir hatten sie wirklich. Einmal schmiss ich ihm aus Wut ein Kilo Brot an den Kopf. Verfehlt. Es landete unter der Küchenbank. Ich bereute es schon als das Brot in der Luft war. Dann kroch ich unter den Tisch um es wieder rauszuholen. Mein Vater blieb ruhig und sagte nichts.

Er blieb auch ruhig als ich ihn im September anrief. Von der Seegrube aus einem Sonnenstuhl. Ein Krahvogel saß vor mir auf der kleinen Wand und ich sah ihn an. Ich wollte es ihm nicht sagen, ich dachte, es bricht ihm das Herz. Dann sagte er aber seelenruhig, ohne nur ein bisschen die Stimme zu verändern, dass das ein guter Krebs ist. Ich musste fast lachen. Er sagte, auch deine Stiefmutter hat eine Freundin, die wieder gesund geworden ist. Und die war viel älter. Dann aber erzählte ich, dass ich schon ein OP-Termin habe und gerade in den Bergen bin und einen Krahvogel anschaue und er meinte Kopf hoch, das wird schon wieder und ich hängte auf.
Es war unwahrscheinlich, dass neben mir die Frau ein ganz kleines Baby an ihre Brust gewickelt hatte und ich den Krebs. Es war auch unwahrscheinlich, dass Menschen Bier getrunken haben und sie C. fragten ob er ein Foto von ihnen machen könnte. Ich dachte nicht an Fotos, ich dachte daran, dass die Berge im Stubaitail und Italien sehr weit waren und ob man nach dem Tod reisen kann. Vielleicht mit den Wolken, in Zeit und Ort. Und das ich im Arm von C. sterben will, fest eingewickelt wie ein Embrio. Und im Radio soll “Summertimes” von Louis & Ella laufen.

Heute denke ich nicht mehr an den Tod. Ich denke daran, dass das Wochenende geklappt hat. Dass sie alle gekommen sind, um mir zu klatschen. Vier Stunden gereist. Auch wenn mein Vater selbst in Jogginghosen ankam und frischgekochte Kartoffeln im Restaurant verlangte. Weil der Gast ist König. Einer seiner Lieblingssprüche. Und auch wenn wir alle zusammen wie Zigeuner die Buchmesse stürmten. Auch, wenn sie mit ihren Rucksäcken und Jacken viel zu viel Gepäck hatten. Und auch, wenn sie laut stritten, welche Sitze sie reservieren sollten. Auch, wenn sie alle Besucher störten, die sich die vorherige Veranstaltung anhören wollten. Auch, wenn mich die Hand an meinen Rücken, dort bei der Verleihung gestört hat. Im nachhinein finde ich alles, was und wie es passiert ist, wirklich nur toll.

Donnerstag, 30. Oktober 2014

Das letzte Mal

"Damit du das letzte Mal deine Haare mit deinem Lieblingsshampoo waschen kannst" – C. in der Tür mit einem Shampoo das nach frischgepresstem Apfelsaft riecht. Stimmt, das ist mein Lieblingsshampoo, aber nur seit kurzem, weil ich es erst vor einem Monat entdeckt habe.

Es sind nur Haare. Für mich sind es nur Haare. C. bekommt Tränen als er den Zopf in der Hand hält. Er will ihn nicht abschneiden, aber sie fangen schon an rauszufallen und ich will nicht Haare in jedem Körperwinkel kleben haben. Ich stelle schnell noch den Kartoffelauflauf in den Ofen, bereite einen Grüntee und laufe duschen.

Erst die Schamhaare fingen an auszufallen. Auch beim duschen. Je länger ich unter Wasser war, desdo mehr. Eklig. Komisch. Jetzt fließen sie in den Kanal. Vielleicht verstopfen sie irgendwann die Rohre. Danach habe ich mich nicht getraut mir die Haare am Kopf anzufassen, meinen Zopf zu öffnen, mich zu kratzen oder zu kämmen. Die Paar langen, herausgefallenen Haare klebten fest unter meinen Fingernägeln und kitzelten meinen Nacken.

© *Clam*/pixelio.de
Also ich sitze im Badezimmer und will es dramatisch machen. Ich denke an Prokofiev oder Rachmaninov als Hintergrundmusik. C. empfiehlt Carmina Burana von Carl Orff. Ich bin dabei, ziehe ein weißes Hemd aus dem Wäschekübel, setze mich auf den Stuhl und will das meine Haare mit dem Rasierapparat einfach abfallen. Wie die Blätter vom Baum bei Föhn. Passt eigentlich eh zum Herbst, bin nun ein Teil der Natur. C. setzt den Helm auf, die Kamera schaltet ein. "Bist du sicher? Willst du nicht noch ein Paar Tage warten?" Nein, sicher. Ich weiß, er sagt es, weil die Pickel noch immer mein Gesicht verunstalten und er bangt, dass es mir dann noch schlimmer geht. Aber wie gesagt, Haare sind mir egal. Die tun nicht weh, die explodieren nicht ständig, die sind zahm. Ohnehin hängt am Spiegel ein Küchentuch um mich nicht ständig selbst zu erschrecken. Mein Gesicht ist zwar viel entspannter geworden, die Pickel deformieren nicht mehr mein ganzes Antlitz, aber schön ist was anderes.  Ich gehe noch immer nicht außer Haus.

Er schaltet Carmina Burana ein, dann die Haarschneidemaschine. Es passiert nichts, die Maschine sümmt sehr leise und ich schaue nach hinten, was ist los. Sie ist einfach kaputt, es bleibt nur die Schere. C. greift meinen Schopf, so viele Haare wie möglich zusammen und schneidet. Er schneidet sie durch, hält sie so, wie ein Huhn, wenn man ihm die Kehle durchschneidet. "Nicht ziehen", kreische ich. "Entschuldigung", seine Stimme ist ganz sanft. Auf einmal spüre ich, dass mein Kopf viel leichter geworden ist. "Freedom" fällt mir ein, auf Englisch. Warum gerade auf Englisch. Carmina Burana geht langsam zu Ende. Es ist ein fünfminütiger Track auf Youtube. Schade. Ich schaue mich im Spiegel an und muss lachen, dann lachen wir zu zweit und er schneidet mir die Haare noch ein bisschen. Die langen, abgeschnittenen Haare hält C. mit einem rosa Haargummi zusammen und hängt ihn an den Spiegel. Das Haar sieht aus, wie ein Skalp und ich wie Jean d'Arc, nachdem sie die Pocken hatte. Ich dusche mich noch einmal und esse danach den Kartoffelauflauf. Zwischen den dünngeschnittenen Kartoffelscheiben, sehe ich auf einmal etwas braunes, dünnes, langes. Ich nehme es zwischen zwei Finger und fange an zu ziehen – mein Haar, "das gestern auf meinem Kopf heute Skalp"-Haar mit Schlagobers und Parmesan. Es macht mich nachdenklich, denn ich finde wirklich selten mein eigenes Haar im Essen. Sowas hat mich nie geekelt, aber jetzt schon. Als ob es ein gemeiner Spaß vom Schicksal wäre. Ich schmeiße das Haar, samt Parmesan in den Müll. Das letzte Mal, für lange Zeit.

Dienstag, 22. Januar 2013

Protestieren in Ungarn: Eine postkommunistische Entdeckung


Budapest vom Gellért-hegy
Es ist ein Gespräch im Bus. Von der Maria Theresien Straße bis zur Technik. Wie die Studenten schweigen. Sie schweigen hier und sie schweigen in Deutschland und sie schweigen in Ungarn und zu der Zeit (zirka 1968) als die gesprächsführende Dame noch jung war, haben die Studenten nicht geschwiegen. Die Studenten waren der Müll der Gesellschaft, der Satz im Kaffee, die Eierschale im Kuchen, der Stein im Schuh, alles von was der Staat kotzen musste. Ich horche ihr zu. Sie hat ja irgendwo recht. Eben ich müsste auf die Straße gehen und Polizisten bespucken, ich müsste Graffitis an die Wand spritzen "mehr Rechte für Asylwerber", "Rassists are lonely" und ähnliches. Aber ich mach' nix. Ich habe Ausreden. Ich muss immer arbeiten um mich über Wasser zu halten. Drei Jobs - die hab' ich - keine Freizeit zum protestieren. Ich muss zugeben, ich tu mir auch selbst leid - na klar, ich renne von Arbeit in die Uni und dann nach Hause um etwas zu essen um gleich darauf in die nächste Arbeit zu rennen. Der Hamsterkäfig, Kapitalismus. Mal einen ungerechten Polizisten zu beschimpfen oder den Strafzettel nicht bezahlen, das trau ich mich irgendwie nicht. Weil es einem hier doch so gut geht. In Österreich gibt es doch alles. In Tirol gibt es sogar mehr. Coole Infrastruktur, soziale Hilfen, Arbeitlosengeld, Notsandhilfe, Stipendien, Freizeitticket für etliche Skilifte und Schwimmbäder, Flohmärkte mit Sachen die man noch benutzen kann, "verschenke meine Küche, meine Schuhe, meine Waschmaschine, mein Kühlschrank", für jeden ein Smartphone mit Vertrag und auch im Keller Internet und Downloads für immer und ewig. Was soll ich bitte protestieren? Zum verändern muss man weg.
Schatten mit stolzer Kokárda am Herz

Die Knochen brechen, protestieren lernen

Ihre Töchter sind weg, erzählt sie mir im Bus. Ich sage, ich bin auch weg. Aber nicht weil ich protestieren will. Dann wäre ich in Ungarn geblieben. Weil, erkläre ich ihr weiter, in Ungarn, da muss man erstmal das Streiken lernen. Dort sind drei Generationen mit der Repression des Kommunismus in den Knochen aufgewachsen. Brechen wir die Knochen, setzen sie in Schiene und sehen zu ob es heilen kann. Knochen brechen schon, du weisst nur nichts davon, sage ich ihr. Proteste und Bewegungen haben den Ungarischen Staatspräsidenten Schmitt Pál nach seinem Plagiat gestürzt. Vor fünf Jahren wäre das nie passiert. Noch immer organisieren sich die Studenten gegen die Studiengebühren und die niedrigen staatlich finanzierte Plätze an den Unis. Etwas bricht, etwas kocht, was daraus wird? Das sieht man mit der Zeit. Aber, dass Ungarn nicht nur ein von politisch korrupten Politikern geführtes Land ist, welche extrem rechte Parteien ins Parlament schickt, dass will ich dir zeigen
Ich schweige nicht, ich sage es dir, ich sage es mit meinen Buchstaben, ich will eine bessere Welt, aber weiss nicht, was eine bessere Welt ist, denn ich denke, ich lebe schon darin. Und werde ich besser, weil ich den Müll trenne? Werde ich besser, weil ich mit dem Fahrrad fahre? Ich habe ein gutes Gewissen und wenn ich nach Hause gehe, meine Familie in Ungarn zu besuchen da bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Weil ich den Müll nicht trennen kann und kein Fahrrad habe und weil ich nicht weiss, warum Österreich so ein verdammt reiches Land ist und in Ungarn alles verschissen. Und dann bin ich wirklich stolz auf meine Freunde, die in Ungarn auf die Straßen gehen und Transparente in die Höhe halten, sich für ihre eigenen Rechte einsetzen und aus einem verschissenen Land das beste herausholen wollen. Und das hat ihnen niemand gezeigt, ihre Eltern haben das nie gemacht. 

Und ich sitz' hier in Tirol verschneit und glücklich und "reich" und langsam, langsam verstehe ich nicht mehr, warum ich aus meinem Land weggegangen bin, wenn es doch so schön auseinanderbricht und brodelt...

Dienstag, 6. November 2012

Bauerntheater



Ein Bauerntheater gehört nunmal zur Kultur in Tirol. Das Gemeindehaus öffnet seine Türen um sieben Uhr, eine gemischte Menschenmenge aus Bauern, Kleinkindern und Omas strömen die Glastür hinein. Um 19.05 sind alle Tische und alle Stühle besetzt. Hier gibt es kein Pardon, wer zu spät kommt steht, oder hofft, dass ihm jemand den Platz reserviert hat. Es sind meistens Komödien, die von Amateurschauspieler, die in der Gemeinde leben, aufgeführt werden. Einmal im Jahr wird ein Theaterstück inszeniert - wie mir gleich klar wird, liegt hier die Betonung nicht auf dem Theaterstück, sondern am Beianandersein. Bier, Weiß gespritzter, Radler und Brezel  - es wird getrunken ohne Rücksicht auf Alkokontrollen oder Leber. Jeder wohnt doch in der Nähe, ein Auto ist beinahe unnötig, oder man kann mit dem Nachbarn mitfahren. Bei den Tischen fallen mir vor allem die jungen Burschen auf. Gelierte Haare, großer Ohrring im rechten oder beide Ohren, eine Mischung aus Ronaldo und Bauernheiterkeit sitzen da nebeneinander und sehen beinahe gleich aus. Draußen, im Vorraum befindet sich die Bar - dort werden Cocktails gemischt, Raucher gibt es viel zu viele und die Aschenbecher sind knapp, der Vorraum füllt sich mit grauer Luft. Im Saal gibt es gute Stimmung. Man erkennt sich, grüßt sich, klopft sich auf die Schulter und Bier und Wein wird auf wackligen Tabletten hinein getragen. Die Kinder laufen herum, zanken sich, wie normale Kinder eben, spähen unter dem Vorhang durch und kichern. Auch ich schaue unten durch, aber nicht auffällig, und bemerke nur ein paar alte Crocs, wie sie hin und her laufen unter dem blauen Vorhang, Dann läutet es um genau 20.00 Uhr, wie an Weihnachten, wenn das Christkind kommt und das Gemurmel verstummt. Ich merke noch schnell, dass der Herr gegenüber von mir einen unwilkürlich roten Kopf hat, aber dann geht der Vorhang auf und das Stück, Das Wundermittel, fängt an, in einer Arztpraxis, mit singender Assistentin.
 Das Stück überrascht mich, denn es kann mich wirklich fesseln. Die Freundin, die mich eingeladen hat, fragt am Anfang bei jedem Lacher: Hast du es auch verstanden? Ja, tirolerisch ist nunmal nicht meine Sprache, aber wir sitzen am besten Platz, ganz vorne am Tisch, in der Mitte und jeder ist still, also "hab' i ois verstanden". Die Humorquelle aus Impotenz, histerischen Weibern und dem weisen Doktor scheint bei jedem gut anzukommen. Natürlich ist es nicht Theater für Klassikliebhaber, muss es auch nicht sein, denn es ist ein Theater zum Lachen, zum Trinken, zum sagen "Mei, i' holt's nimma as" - wie neben mir die Dame, die sich schon den Bauch halten musste und andauernd den Kopf schüttelte. Drei Akte, zwei Pausen, genug Zeit mal durchzuschnaufen, die Gläser zu füllen und die Toilette zu besuchen. Der dritte Akt scheint dann etwas flacher, wie die anderen zwei. Die Späßchen wiederholen sich, der schwulgewordene Casanova z.B. löst bei mir kein Schmunzeln mehr aus, als er sich den rosa Schal zum fünften Mal um den Hals wickelt und auch der Werkfilm war zuletzt etwas lang. Aber vielleicht sieht das jemand anders, der die Schauspieler persönlich kennt und bekommt ein Loch im Bauch vor lauter Lachen, wenn er sieht, wie das Stück entstanden ist.
Am Ende wird geklatscht, verbeugt und die Augen strahlen, denn es war ein Erfolg, die Lichter gehen wieder an und der Mann mit dem ungewöhnlich rotem Kopf scheint mir noch roter zu sein und er sagt, "mei wor des wieda a guats stickl" und man stellt sich wieder an die Bar und der Rauch wird wieder dick im Vorraum, Cocktails werden gemischt und Liebhaber küssen sich vor dem ganzen Dorf und es fängt wieder die Realität an, die sich gar nicht so sehr vom Theaterstück unterscheidet.

Freitag, 2. November 2012

Welcome winter season 2012/2013


Es ist wieder so weit. Die Uhren wecken schon eine Stunde später auf, die Bäume lassen ihre letzten Blätter fallen und die Berge bedecken sich mit weiß. Es fängt wieder an: Das Warten auf die Gäste, das Kochen von unzähligen Schnitzeln, die Jagd nach Russisch sprechenden, jungen Mitarbeitern, die keine Aufenthaltsgenehmigung brauchen oder sich gut tarnen können, wenn das Finanzamt kommt. Das sind die kleinen, dünnen, weißen Mädels, mit neonfarbenen oder glitzernden Haargumis, die die Betten machen und es sind die, die mit den dunklen Augenringen, die in der Küche arbeiten und kaum Deutsch sprechen, aber schnell putzen und kochen können. Nach vorne, ins Restaurant, werden sie nur am seltensten geschickt, wenn es keine Kellnerin gibt und dann sieht man sie ganz erstaunt an, denn ihre Schürze ist blutig und sie sind ganz flink, aber irgendwie doch zerbrechlich und man denkt nicht gerne daran, dass diese Person das Essen gekocht hat. Ja, das Essen kocht nämlich am wenigsten der Tiroler Koch, der klopft das Fleisch weich, aber danach wird der Salat, die Beilage, der Gulasch, alles von den ausländischen Händen gemacht. Und was ist das Problem damit? Es gibt kein Problem - aber merken wir alle für einen Moment, bitte, dass hinter der Fassade, fröhlich jodelnder, gutgebauter Tiroler und gelben Semmelknödel und saftiger Schweinebraten eine ganz andere Wahrheit steckt und die ist nicht schön, meistens nicht einmal legal und hat es wirklich schwer.
Weil diese Wahrheiten sind Menschen, sind Seelen, die fühlen, die sind weit weg von daheim und die wollen nur ein bisschen besser leben, sie wollen, dass es warm ist bei ihnen zuhause, dass sie sich auch einen MP3-Spieler kaufen können, dass sie schöne Schuhe und Kleider zum Anziehen haben. Und sie wollen eh alle wieder heim, weil niemand verlässt freiwillig eine liebende Gemeinschaft, Kumpel aus der Kindheit, die Sicherheit der eigenen Muttersprache und deswegen gedenken wir mal ein bisschen an die Hände, die sich beim Schnitzelbraten für uns verbrennen. Welcome Winter season 2012/2013 - ich wünsche dir viele, frohe Mitarbeiter, die sich wohl, ja gar ab und zu zuhause in dir fühlen können!