Donnerstag, 27. November 2014

6. Stock

Ich hatte bisher überhaupt keine Angst vor der Chemo. Heute schon. Eigentlich schon in den letzte zehn Tagen. In denen ich jede Nacht schweißgebadet aufwachte. Und zwar mindesten fünfmal pro Nacht. Mein Körper ein heißer Ball. Dann ein kalter Fisch. Schnell, abwechselnd. Es fängt immer in meinem Nacken an, läuft über meinen Kopf und von dort breitet sich die Hitze in meinem ganzen Körper aus. Ich schmeiße die Decke auf den Boden – gefühlte drei Minuten später taste ich im Dunklen um sie auf meinen zitternden Körper zurückzuziehen.

Der Chemoraum ist im sechsten Stock der Frauen- und Kopfklinik. In der Mitte gibt es einen ovalen Tisch, ein Korb mit Bananen, Äpfeln, Sodawasser, Salz und Pfeffer, Zucker. Schöne Aussicht auf die Nordkette. Bisher war fast jede Chemo bewölkt. Heute am Nachmittag schien die Sonne auf einen Fleck auf den Bergen und kroch immer weiter hinauf, je später es geworden ist. Dann verschwand sie, weil das Fenster beendete und ich nicht bis zu den Bergspitzen sah.

Heute saß ich direkt neben dem Klo. Meine Ärztin heißt Salzer. Sie ist nett. Sie sagte "gratuliere - ich habe über deinen Preis gelesen". Manchmal überrascht's mich, dass Leute unsere Zeitung wirklich lesen. Dann Blutprobe, Harnprobe. Obwohl Salzer nett ist, hat sie mir heute ziemlich wehgetan. Sie fand keine Vene in meinem rechten Arm. Der Raum war beinahe voll, die kanadische Brustkrebspatientin bekam keinen Stuhl mehr, der automatisch umstellbar ist. Sie musst im "Relax-Sessel" sitzen. Salzer stach und stach un stach in meinen rechten Arm und es tat nur weh. Es spritzte kein Blut in die Plastikröhre wie sonst. Dann ging sie auf meinen linken Arm über und entschuldigte sich. Ich sah C. an als sie stach. Diesmal war es weniger schmerzhaft und dann hörte ich mein Blut in das Plastik rauschen. Ich sah auf mein Blut. Dunkel, rot, schnell. Über 1,5 Stunden warten bis die Ergebnisse ankamen. Alles in Ordnung, die Chemo kann losgehen.

Ich bekomme immer vier Flaschen. Die 1. ist irgendwelche Infusion gegen Allergien, dann Fortecortin gegen Schwellungen und dann die zwei "Chemoflaschen", dessen Namen ich mir nicht merken kann. Salzer stellt sie mir wirklich, wie Weinflaschen vor. Cz. sagt sie und stellt sie vor meine Nase ob ich damit einverstanden bin. Ich nicke, natürlich bin ich damit einverstanden. Nur ist es leider kein Wein.

An der Wand gibt es sechs Bilder, eins mit einem Schmetterling. Ich frage mich, warum hängen diese kindischen Bilder hier. Sie sind beleuchtet, wie in einem Ausstellungsraum und wir Patienten sitzen uns gegenüber, wie andere Ausstellungsgegenstände.

Die ganz links ist groß, hart, stark. Eine Bäuerin vielleicht. Sie hat die wenigsten Haare. daneben sitzt eine neue. Die habe ich nie gesehen. Ihr Freund/Mann kommt in der Mittagspause mit einem I-Pad und zeigt ihr Fotos von einer Swarovski-Veranstaltung. Neben ihr sitzt die Frau mit dem lauten Mann. Heute sagt ihr Salzer etwas, daraufhin seufzt die Frau tief und ihr Mann schießt tatsächlich ein Bild mit dem Handy. "Man muss es festhalten, diese Scheißzeit". Neben ihr sitzt eine Türkin. Auch neu. Sie spricht mit der Putzfrau auf Türkisch. Dann spricht sie auch mit den Ärzten und Krankenpflegern auf Türkisch. Nur die Putzfrau versteht sie. Zu Mittag sagt sie "Frühstück". Der Pfleger fragte sie ob sie Schweineschnitzel haben möchte. Der Geruch füllt den Raum. Ich faste heute den dritten Tag und lese Rezepte und meine Nase funktioniert so stark, es treibt mich in den Wahnsinn. Der Geruch bleibt lange. Wir schauen Madagascar 2 am Laptop mit C. und lachen viel.

Zwischendurch wird die Infusion getauscht und peitschende Schmerzen laufen in meine Adern. Es zieht mich auch unten zusammen. Als ob jemand eine Nadel in meine Chlitoris gestochen hätte. Zum Glück gehen die Schmerzen so wie sie gekommen sind, schnell vorbei. Um vier Uhr fünfzig sind wir fertig. Zum Abschluss kriege ich eine lange Spritze in meinen Bauch. Es brennt höllisch. Mein ganzer Körper angespannt. Ich denke nur "scheiße, wie lange noch". Jedesmal habe ich das Gefühl, es dauert länger. Dann sagt die Ärztin "wir sind bei der Halbzeit, jetzt können sie zurückzählen" und ich gehe zum Aufzug – meine Beine fühlen sich wie zwei schwere Steine an – und verlasse den sechsten Stock. Erleichtert, dass ich drei schon hinter mir habe.

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