Ich habe gar nicht gemerkt, dass er die
Hand auf meinen Rücken gelegt hatte. Auf diesem Foto sah ich nur
meinen Kopf, von hinten, wie ein dick eingewickeltes Ei. Nur als ich
zum zehnten mal das Bild ansah, bemerkte ich die knochige Hand.
Meines Vaters.
Wir hatten unsere Kämpfe – das würde so in einer
Frauenzeitschrift stehen, unter der Rubrik Schicksal/Reportage. Wir
hatten sie wirklich. Einmal schmiss ich ihm aus Wut ein Kilo Brot an
den Kopf. Verfehlt. Es landete unter der Küchenbank. Ich bereute es
schon als das Brot in der Luft war. Dann kroch ich unter den Tisch um
es wieder rauszuholen. Mein Vater blieb ruhig und sagte nichts.
Er blieb auch ruhig als ich ihn im
September anrief. Von der Seegrube aus einem Sonnenstuhl. Ein
Krahvogel saß vor mir auf der kleinen Wand und ich sah ihn an. Ich
wollte es ihm nicht sagen, ich dachte, es bricht ihm das Herz. Dann
sagte er aber seelenruhig, ohne nur ein bisschen die Stimme zu
verändern, dass das ein guter Krebs ist. Ich musste fast lachen. Er
sagte, auch deine Stiefmutter hat eine Freundin, die wieder gesund
geworden ist. Und die war viel älter. Dann aber erzählte ich, dass
ich schon ein OP-Termin habe und gerade in den Bergen bin und einen
Krahvogel anschaue und er meinte Kopf hoch, das wird schon wieder und
ich hängte auf.
Es war unwahrscheinlich, dass neben mir
die Frau ein ganz kleines Baby an ihre Brust gewickelt hatte und ich
den Krebs. Es war auch unwahrscheinlich, dass Menschen Bier getrunken
haben und sie C. fragten ob er ein Foto von ihnen machen könnte. Ich
dachte nicht an Fotos, ich dachte daran, dass die Berge im Stubaitail
und Italien sehr weit waren und ob man nach dem Tod reisen kann.
Vielleicht mit den Wolken, in Zeit und Ort. Und das ich im Arm von C.
sterben will, fest eingewickelt wie ein Embrio. Und im Radio soll
“Summertimes” von Louis & Ella laufen.
Heute denke ich nicht mehr an den Tod.
Ich denke daran, dass das Wochenende geklappt hat. Dass sie alle gekommen sind, um mir zu klatschen.
Vier Stunden gereist. Auch wenn mein Vater selbst in Jogginghosen ankam und
frischgekochte Kartoffeln im Restaurant verlangte. Weil der Gast ist
König. Einer seiner Lieblingssprüche. Und auch wenn wir alle
zusammen wie Zigeuner die Buchmesse stürmten. Auch, wenn sie mit
ihren Rucksäcken und Jacken viel zu viel Gepäck hatten. Und auch,
wenn sie laut stritten, welche Sitze sie reservieren sollten. Auch,
wenn sie alle Besucher störten, die sich die vorherige Veranstaltung
anhören wollten. Auch, wenn mich die Hand an meinen Rücken, dort
bei der Verleihung gestört hat. Im nachhinein finde ich alles, was
und wie es passiert ist, wirklich nur toll.
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