Sonntag, 26. Oktober 2014

Drei Tage

Ich verstehe auch andere Dinge nicht und rege mich nicht auf, weil ich sie nicht verstehe. Warum würde ich jetzt eine Ausnahme machen? Es ist nur etwas mehr, dass ich nicht verstehe und das ich nicht beeinflussen kann. Obwohl, über letzteres, bzw. das Gegenteil, versuchen mich Freunde, Bekannte und Familie zu überzeugen. Und ich lebe mein Leben weiter, wie bisher. Einen Film, der mit anderen passiert und nicht mit mir.

   
Die Entdeckung- Tag 1    
Copyright: Heike/pixelio.de
Die Geschichte fängt mit einem Kratzer an. Jetzt im September, wo es einmal heiß war habe ich mich unter der Achsel gekratzt, währenddessen ich mit einem Kollegen diskutierte. Und hopp, diskutierte mein Kollege plötzlich alleine. Denn ich fühlte etwas rundes und hartes in meiner Brust und es überkam mich eine sofortige Todesangst und ich brauchte einige Minuten um mich zu fassen. Ich hatte das Gefühl in dieser Angst ist auf einmal all mein Blut in mein Gehirn und mein Herz geschoßen und fühlte eine Urpanik, wie ich sie fühle, wenn ich an das Weltall denke oder mir Sterne zu lange ansehe. Fünf Minuten später half meine Atemübung und ich konnte wieder zuhören. Mein Gesprächspartner überbrückte die Debatte alleine und bemerkte von meinem Schwächeanfall überhaupt nichts. Soviel über die zwischenmenschliche Kommunikation.

Die Medien haben mich gut trainiert. Man sollte sofort zum Arzt gehen, wenn man etwas komisches in der Brust spürt. Ich bin 27 und im Internet fand ich gleich eine beruhigende Antwort auf den Knoten: Verklumptes Fettgewebe. Unter dreißig ist Brustkrebs sehr selten. Auch meine Freunde beruhigten mich. Ich ging zur Hausärztin, da mein Frauenarzt zu der Zeit gerade auf Urlaub war, ob sie glaubt, dass das ein Knoten ist oder ich mir das nur einbilde.
Sie wärmte ihre Handflächen auf indem sie sie zueinander rieb und schaute links hinter mein Ohr, während sie mir die Brust abtastete. Sie hatte eine weiche Hand. Man sah in ihrem Gesicht nichts. Aber sie schickte mich zur Brustambulanz, denn da war wirklich ein Knoten.Und zwar sofort nächsten Tag sollte ich gehen.



Die Untersuchung - Tag 2
Ich war mittlerweile schon komplett beruhigt. Statistiken, Freunde, alles schien auf meiner Seite zu stehen. Ich sagte das ganze mit dem Knoten eigentlich nur zwei Freunde. Das half auch. Dann fragten nicht so viele, wie es mir denn ging. Die Einweisung auf die Brustambulanz nahm ich, wie eine Überreaktion, eine Art Sicherstellung, dass alles in Ordnung ist.

Der Radiologe, ein kleiner Mann die ärztliche Version von Homer Simpson im weißen Kittel, war barsch. Ich musste ausgezogen in einem blauen Kittel warten, dann nur in Strumpfhose mit dem linken arm über meinem Kopf in einem winzigen, halbverdunkelten Raum mit einer Ultraschallmaschine zusammen liegen. Dann kam endlich Homer und hatte eine kalte Hand. Er schmierte dieses komische Gel auf meine linke Brust und fuhr mit dem Ultraschallkopf hin und her. Drückte den Knoten auf die eine Seite, auf die andere Seite und dann fest hinein. Er brabbelte verstörend. Es nervte mich unglaublich. Gesagt hat er dann nur: "Wischen sie sich ab, wir werden eine Biopsie nehmen um ganz sicher zu stellen, dass der Knoten gutartig ist." Gut. Kittel an. Ich wieder am Flur sitzend. Komisch. Sie machen nicht einmal eine Mammographie, fragte ich mich. Obwohl mir die Hausärztin alles gut erklärt hatte, damit ich mich nicht wundere, wie es so in der Brustambulanz abläuft.

"Frau Cz. kommen sie, bitte" - nach 15 Minuten kam die nette, blonde Krankenschwester lächelnd in den Warteraum. Jetzt ging ich in einen helleren Raum, aber liegen musste ich gleich. Linker Arm ganz weit nach oben. Kissen unter meinen Rücken, auf der Seite liegen, mit nacktem Oberkörper. Der Arzt ließ wieder auf sich warten. 10 Minuten lag ich so, fror und sah die Neonröhren an der Decke an. Ich redete mir ein, das alles passiert außerhalb meines Körpers. Mir kam beinahe vor, ich könnte mich von außen sehen. Komisch.

Endlich kam der Arzt, mit einer Stanze, die mich an gefüllte Puten erinnert. Mit einer solchen langen Stanze stecht man sie durch um sie von vorne bis hinten zusammen zu halten. Auch die Methode war ähnlich. Nach einer Betäubungsspritze und dem Ultraschallkopf in einer Tüte an meiner Brust kam die Stanze hinein. Der Arzt suchte den Knoten. Ich sah ihn auf dem Bildschirm. Wie eine zermatschte Bohne sah er aus. Sechsmal stach er mit der Stanze in meine Brust. Nur am Ende sah ich, wieviel ich geblutet hatte und wie lange die Stanze in Wirklichkeit war. Ich fand es interessant. Dann sagte mir die Krankenschwester, während sie meine Wunde zuband, dass ich morgen zur Befundbesprechung mit jemandem kommen sollte, den ich gerne hab. Bingo, sagte ich, denn wir hatten mit meinem langjährigen Freund besprochen, dass wir eine Pause machen, um zu sehen in welche Richtung unsere Beziehung gehen wird. Fünf Jahre miteinander durch dick und dünn und seit einer Woche kein Kontakt mehr. Bedenkzeit. Ich glaubte langsam auf den Geschmack zu kommen, was ich in Wirklichkeit will. Und dann sagt mir die Krankenschwester das was sie sagt und der einzige Mensch, den ich in diesem Moment neben mir haben will, ist er. Die Krankenschwester sagte: Sie haben doch sicher einen Freund, eine Freundin, die Mutter, die Schwester, jemand der sie begleiten kann. Ich sah in die Neonröhre und eine Träne rollte mir auf der rechten Wange hinunter. Ich fühlte mich unglaublich verlassen.

Ich rufe ihn an, er hebt nicht ab. Wir haben besprochen, dass wir nicht miteinander sprechen. Ich schreibe ihm eine SMS und am Abend sitzt er bei mir in der Küche und alles ist ein bisschen komisch, aber ich bin sehr froh und dankbar, dass er bei mir ist.

Der Befund - Tag 3
Ich gehe ganz normal in die Arbeit und versuche den Arzttermin zwischen zwei andere Termine zu quetschen. Es ist perfekt, denn ich mache ein Interview in der Innenstadt und danach kann ich schnell ins Krankenhaus laufen, bevor ich wieder ins Büro zurück muss.

Vor der Klinik wartet schon mein Freund um 2 Uhr auf mich. Er sieht aufgeregter aus, als ich. Ich bin mir sicher alles passt mit den Befunden. Bei mir passt immer alles. Egal ob Blut oder Harn - das Labor sagt immer, alles ist perfekt. Und ich fühle mich fitter und glücklicher denn je. Weil ich die Dinge geklärt habe, weil ich mit meiner Familie, mit meinem Freund viele Gespräche über unsere Beziehungen miteinander geführt habe und ich alles sagen konnte, was mich belastete. Nüchtern und schön. Und manchmal auch schreiend und weinend. Aber letzen Endes immer nüchtern und schön und liebevoll.
Homer Simpson in Weiß huscht an uns vorbei. Er sieht immer nervös aus. Kann ich sagen, da ich ihn jetzt schon den zweiten Tag sehe. "Ganz gleich", sagt er - eher zur automatischen Tür, die ihn schluckt, als zu uns.

Dann sitzen wir in einem kleinen Raum ohne Fenster. Ein Kalender von Knorr hängt an der Wand. Kartoffelauflauf im September. Das Licht ist kalt. Neon. Wieder warten auf den Radiologen. Er kommt rein, Grüß Gott, setzt sich vor den Computer, zieht die Brille aus und dreht sich zu uns. Ich muss ihnen leider sagen, dass der Tumor bösartig ist. Punkt. Kein Kommentar. Ich sehe ihn an, ich sehe meinen Freund an. Er hat Tränen in den Augen. Auf einmal bekomme ich keine Luft. Warum ist in diesem scheiß Raum kein Fenster? Und? Frage ich? Sterbe ich gleich, kann ich gesund werden, sind sie sich sicher, ich fühle mich doch sooooo gesund. Sie sehen wie das blühende Leben aus, aber auch dann kann man Krebs haben. Sagt der Arzt. Ich will noch so vieles machen, sage ich. Denn ich denke daran, jetzt bin gleich tot, mein Roman ist nie fertiggeworden, ich war nie wirklich in Rom (habe zwei Tage vorher "La grande Bellezza" gesehen) und habe noch keine Kinder bekommen. Und ich wollte doch immer eine Oma werden. Ich beuge mich auf meine Knie. Vielleicht ist dort mehr Luft, ich komme wieder zurück und greife mir in die Haare. Der weiße Homer sitzt unbeeinflusst dort. Erklärt. Sie gehen jetzt in den zweiten Stock, blablabla. Mein Freund fließen die Tränen, ich weine nicht. Es ist einfach nur unfassbar. Dann kommt eine Krankenschwester, die uns zur Blutabnahme begleitet. Die andere Krankenschwester saugt Blut aus mir, ich werde angezapft, denke ich. Ich werde sterben und fange an zu weinen. Die Krankenschwester schaut mich überrascht an. Schlechte Nachrichten? Ich nicke und weine und lächele. Warum will ich immer tapfer bleiben? Wann hat man mir das beigebracht? Warum einfach nicht mal wütend sein und weinen? Wann, wenn nicht jetzt? Aber ich bleibe tapfer und meine Tränen laufen in mein Lächeln hinein. Mein Mund schmeckt gleichzeitig salzig und süß und trocken. Bestimmt ist es wegen den vielen Indianergeschichten, wegen Lederstrumpf, weil ich immer ein Indianer sein wollte. Flink, stark, mutig, unzerstörbar.

Der zweite Arzt war hübsch. Zum Glück war er auch nett und verständnisvoll. Er hat Augen, wie ich. Außen grün, Innen braun. Er schaute mir nicht nur ins Gesicht, er sah auch meine Angst. Er beruhigte mich. Der Knoten ist klein, sie sind jung, ihre Heilungschancen sind sehr gut. Und schon machte einen Termin. Ist ihnen der 16. September recht? Ich hatte das Gefühl, überrumpelt zu sein. Sicher, ist es mir recht. Mir ist alles recht. Gestern hatte ich noch kein Krebs. Und als ich das dachte, wusste ich das es nicht stimmte und ich doch recht hatte.

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