ungarn meets tirol: knödel with fishsoup, pálinka with zirbenschnaps, skiing on paprika powder.
Montag, 17. August 2015
Gurkenglas
Vielleicht ist es, weil ich Essiggurken so gerne esse. Vielleicht ist es, weil ich als Kind so viel Fußball gespielt habe. Vielleicht ist es, weil meine Mutter Salat nach Tschernobyl gegessen hat. Vielleicht ist es, weil ich viel grünen Tee getrunken habe. Oder viel ungarische Salami gegessen. Oder viel Paprika. Oder viel Zwiebel. Manchmal macht es mich verrückt. Wenn jemand erzählt, dass Gurkengläser durchstrahlt werden, vor dem die Essiggurken hineinkommen. Bei allen? Bei allen. Damit keine Rückstände einem die Kehle von Innen zerschneiden: Nur so sieht man die kleinen Glassplitter. Manchmal ist die Strahlung zu hoch. Es piepst laut. Scheiße – bis man es bemerkt, sind dreihundert Gurkengläser schon am Markt. Ich liebe Essiggurken. Ich esse mindestens fünf Kilo pro Jahr. Ich will nicht daran denken, dass die Essiggurken daran schuld sein könnten, dass ich Krebs hatte. Oder meine Mutter, weil sie 1986 grünen Salat zu den Käsenockerln gegessen hat und mit mir schwanger war. Oder dass einer dieser wilden Jungs schuld ist, der mir den Fußball in die Brust geschossen hat. Ich habe keine Luft bekommen, so heftig war der Schuss. Heute bekomme ich keine Luft, wenn ich an den Krebs denke. Er ist außerirdisch, weil ich nicht weiß, wo und was ich ändern könnte, damit er nicht zurückkommt. Und ich weiß nicht, wo er wohnt und wo er sich wohlfühlt – damit ich ihm es so ungemütlich, wie möglich in mir machen könnte. Sollte ich keine Essiggurken mehr aus dem Geschäft essen? Oder keine Pilze aus dem Wald? Oder keine Fische aus dem Mittelmeer? Ich habe das Gefühl, ich habe mit der Diagnose meine Unsterblichkeit verloren. Mit der ich jedoch noch mindesten sechzig Jahre gezählt hatte.
Donnerstag, 9. Juli 2015
Abschiedsbrief
Lieber Krebs, ich habe mir gedacht, nun ist es an der Zeit von einander Abschied zu nehmen. Du hast mich begleitet, ob ich wollte oder nicht. Du warst mein saurer Regen, mein Bürgerkrieg im eigenen Körper, mein Sandkorn im Werk. Es ist höchste Eisenbahn, dass ich dich verabschiede. Mit dem, dass du jetzt für immer zu meiner Geschichte gehörst, habe ich mich – so glaube ich es – abgefunden. Dass du für immer in meiner Chronik stehst, unter September 2014. Obwohl du dich ja anfangs gar nicht bemerkbar gemacht hast. Schön langsam bist du in mein Wasser hineingeflossen. Wie Himbeersirup im Glas, das sich schön langsam auflöst und erst nur eine rote Wolke im Wasser ist und im nächsten Moment färbt er alles ein. So bist du für mich gewesen. Erst kam die OP, dann die Chemo, dann die Bestrahlung. Plötzlich ging alles nur mehr um dich, 1,5 Zentimeter Stück schlechtes Fleisch. Falsches Fleisch, dass mich von innen nagte.
Die Hormontherapie läuft noch immer, wie auch die Antikörpertherapie. Aber langsam habe ich das Glas leer getrunken und das nächste werde ich mir selbst nachfüllen. Und kein Himbeersirup mehr, danke. Nein, etwas erfrischendes. Etwas mit Zitrone und Minze. Nur weiß ich nicht, was mir Minze und Zitrone bringen wird. Ich will von dir Abschied nehmen, das weiß ich. Aber ich habe auch Angst. Wie vor einem Stalker, der zurückkehren könnte. Ich fühle, in mir ist ein Tor, zugesperrt, zu dem ich den Schlüssel verloren habe. Der Schlüssel zur vorübergehenden Unsterblichkeit. Oder wenigsten zum Gedanlen daran. Meine Tage sind langweilig, ich habe das Gefühl mit jedem Tag verliere ich mehr von mir. Von meinen Wünschen, von meinen Träumen. Dass ich jetzt ein Stück näher an den Tod gerückt bin und trotzdem sich nichts geändert hat. Dass ich dem Tod vis a vis saß und er mich anlächelte und Ärzte um uns herumfuchtelten und ich zu den Ärzten und den Tod lächelte und ich nicht wusste, wer die Wahrheit sagte. Wer weiß, was für mich gut ist. Nicht einmal ich. Ich weiß es nicht. Noch immer nicht. Und dabei saß ich vor dem Tod und die Ärzte hielten und halten mich noch immer fest. Ich bin traurig, dass du mir mein 27. Jahr versaut hast. Dass du mir schwitzende Rücken geschenkt hast, einen schlechten Blick, eine schmerzende linke Brust, einen schwellenden Arm und einen Nagel am Zeh, den ich in Wien Westbahnhof verloren habe. Nun habe ich keinen Nagel am linken Fuß und dabei habe ich ihn doch lackiert und mir doch neue Sandalen gekauft. Ja, stell dir vor, neue Sandalen und die will ich wenigstens so lange tragen, wie die alten. Acht Jahre. Ich kaufe mir Sandalen für acht Jahre und du sollst das bitte akzeptieren. Mehr habe ich nicht zu sagen. Am besten du kommst nie wieder zurück. Das wäre mir wirklich am liebsten. Und wenn du den Nagel in Wien Westbahnhof finden würdest, behalte ihn als Andenken an das, was du getan hast.
A.
Die Hormontherapie läuft noch immer, wie auch die Antikörpertherapie. Aber langsam habe ich das Glas leer getrunken und das nächste werde ich mir selbst nachfüllen. Und kein Himbeersirup mehr, danke. Nein, etwas erfrischendes. Etwas mit Zitrone und Minze. Nur weiß ich nicht, was mir Minze und Zitrone bringen wird. Ich will von dir Abschied nehmen, das weiß ich. Aber ich habe auch Angst. Wie vor einem Stalker, der zurückkehren könnte. Ich fühle, in mir ist ein Tor, zugesperrt, zu dem ich den Schlüssel verloren habe. Der Schlüssel zur vorübergehenden Unsterblichkeit. Oder wenigsten zum Gedanlen daran. Meine Tage sind langweilig, ich habe das Gefühl mit jedem Tag verliere ich mehr von mir. Von meinen Wünschen, von meinen Träumen. Dass ich jetzt ein Stück näher an den Tod gerückt bin und trotzdem sich nichts geändert hat. Dass ich dem Tod vis a vis saß und er mich anlächelte und Ärzte um uns herumfuchtelten und ich zu den Ärzten und den Tod lächelte und ich nicht wusste, wer die Wahrheit sagte. Wer weiß, was für mich gut ist. Nicht einmal ich. Ich weiß es nicht. Noch immer nicht. Und dabei saß ich vor dem Tod und die Ärzte hielten und halten mich noch immer fest. Ich bin traurig, dass du mir mein 27. Jahr versaut hast. Dass du mir schwitzende Rücken geschenkt hast, einen schlechten Blick, eine schmerzende linke Brust, einen schwellenden Arm und einen Nagel am Zeh, den ich in Wien Westbahnhof verloren habe. Nun habe ich keinen Nagel am linken Fuß und dabei habe ich ihn doch lackiert und mir doch neue Sandalen gekauft. Ja, stell dir vor, neue Sandalen und die will ich wenigstens so lange tragen, wie die alten. Acht Jahre. Ich kaufe mir Sandalen für acht Jahre und du sollst das bitte akzeptieren. Mehr habe ich nicht zu sagen. Am besten du kommst nie wieder zurück. Das wäre mir wirklich am liebsten. Und wenn du den Nagel in Wien Westbahnhof finden würdest, behalte ihn als Andenken an das, was du getan hast.
A.
Dienstag, 26. Mai 2015
Die Münze
Als ich ein Kind war, spielten wir oft Dinge, die uns nicht erlaubt waren: Wir spielten mit den Zügen, den Gleisen, dem Übergang, mit der Schranke. Wir hatten Geld, welches es eigentlich nicht mehr gab. Fillér – das Geld das kleiner war als der Forint und der nach einer Weile so wenig Wert hatte, dass wir Kinder es haben durften und damit spielen und wir hatten eine Menge, große Einmachgläser voller Münzen. Und wir gingen zu den Gleisen und legten die kleinen, leichten Geldstücke auf die langen Eisenstangen und warteten. Und waren aufgeregt, wenn sich die Schranke endlich mit großem Geklimper und mit roter Lampe zusperrte. Wir saßen auf dem Geländer aus Stahl, dass die Fußgänger verlangsamen soll und die Radfahrer vom Sattel zwingen und wir hörten, wie das Eisen vibrierte, wie der Zug plötzlich die Luft wegschob und dann dröhnte alles für einige Sekunden, unsere Haare flogen in die Luft und wir hielten uns fest, damit der Zug uns nicht wegbläst. Immer waren wir überwältigt und saßen einige Sekunden zu lang am Geländer, während die Schranken schon aufgingen und die Autos, die ihre Motoren abstellten, wieder den Motor anzündeten und losrollten.
Oft saßen wir davor sehr lange am Geländer, oft schien die Schranke nutzlos den Weg zu versperren, der Zug war nicht hörbar, nicht sehbar und oft kam uns vor, dass der Zug gar nicht kommt. Aber er kam immer und deswegen harrten wir meistens doch aus. Mit dem Geländer an den Pobacken, hart, ungemütlich, aber er kam immer der Zug und drückte unsere Fillérmünzen platt und die Schranken gingen plänkernd wieder hinauf und die Autos brummten los und es bewegte sich wieder alles und wir suchten die Münzen zwischen den Steinen. Den grauen, nach Eisen riechenden, dreckigen Steinen, zwischen den Gleisen und fast immer haben wir die zerquetschten Münzen gefunden und wir fanden es faszinierend, dass der Zug sie flach machte und deformierte und man trotzdem noch die Zahlen erkannte, die Schrift – nur wurde das ganze, wie eine harte Palatschinke, etwas geboben, wenn wir sie nicht richtig platziert hatten. Manchmal blieben wir stundenlang an der Schranke und spielten dieses Spiel, bis unsere Taschen schon voll waren und uns plötzlich langweilig und hungrig wurde und wir wieder in die Häuser gingen, in denen es viele Wohnungen gab und jeder von uns hinter einer dieser braunen Holztüren am Flur wohnte. Die Münzen, die deformierten vergaßen wir im selben Moment in dem wir unsere Kleider auszogen und in das Badewasser tauchten. Mit Schaum uns zudeckten und wir spielten, wir seien der Nikolaus und machten uns einen weißen Bart.
Warum ich das jetzt erzählt habe? Ich bin so eine Münze. Der Krebs ist über mich gefahren und obwohl meine Züge noch erkennbar sind, der Abdruck bleibt in meinem Gesicht. Es bleiben die Falten, das weiße Haar, die deformierte Brust. Ich habe Angst davor, dass ich nicht mehr werde, wie ich davor war.
Oft saßen wir davor sehr lange am Geländer, oft schien die Schranke nutzlos den Weg zu versperren, der Zug war nicht hörbar, nicht sehbar und oft kam uns vor, dass der Zug gar nicht kommt. Aber er kam immer und deswegen harrten wir meistens doch aus. Mit dem Geländer an den Pobacken, hart, ungemütlich, aber er kam immer der Zug und drückte unsere Fillérmünzen platt und die Schranken gingen plänkernd wieder hinauf und die Autos brummten los und es bewegte sich wieder alles und wir suchten die Münzen zwischen den Steinen. Den grauen, nach Eisen riechenden, dreckigen Steinen, zwischen den Gleisen und fast immer haben wir die zerquetschten Münzen gefunden und wir fanden es faszinierend, dass der Zug sie flach machte und deformierte und man trotzdem noch die Zahlen erkannte, die Schrift – nur wurde das ganze, wie eine harte Palatschinke, etwas geboben, wenn wir sie nicht richtig platziert hatten. Manchmal blieben wir stundenlang an der Schranke und spielten dieses Spiel, bis unsere Taschen schon voll waren und uns plötzlich langweilig und hungrig wurde und wir wieder in die Häuser gingen, in denen es viele Wohnungen gab und jeder von uns hinter einer dieser braunen Holztüren am Flur wohnte. Die Münzen, die deformierten vergaßen wir im selben Moment in dem wir unsere Kleider auszogen und in das Badewasser tauchten. Mit Schaum uns zudeckten und wir spielten, wir seien der Nikolaus und machten uns einen weißen Bart.
Warum ich das jetzt erzählt habe? Ich bin so eine Münze. Der Krebs ist über mich gefahren und obwohl meine Züge noch erkennbar sind, der Abdruck bleibt in meinem Gesicht. Es bleiben die Falten, das weiße Haar, die deformierte Brust. Ich habe Angst davor, dass ich nicht mehr werde, wie ich davor war.
Mittwoch, 15. April 2015
Marathon
Ich versuche daran zu denken, dass das gut ist. Dass meine Brust nur noch Deko sein wird, keine Milch produziert und überhaupt nichts macht, was es machen sollte, aber dafür auch keine Krebszellen produzieren kann. Es ist aber irgendwie schwierig anzunehmen, dass ich vor einem Jahr noch jung war und stark und gesund und nun etwas an mir nicht mehr stark und gesund sein wird. Und wenn ich einmal schwanger werde, lächerlich aussehen könnte. Weil die eine Brust anwächst und die andere nicht. Blöde Ängste im Vergleich zu dem, was ich gewinnen könnte: Gesundheit auf Dauer.
Mein Marathon ist noch immer nicht zu Ende. Seit Oktober laufe ich, laufe und laufe. Neben Schnee und Wind vorbei, auf Straßen mit und ohne Asphalt, neben Flüßen und Bergen und Blumen und Wiesen und blauen Himmel und weiße Sterne und mein Lauf wird langsamer, Tag zu Tag mühsamer und ich will endlich ankommen, dort an diesen Ort, an dem ich wieder jung und stark und gesund sein kann. Und dabei laufen einige Leute mit mir mit. Ein Stück, schauen mich an, lächeln, bedauern, bewundern, klatschen, lachen, sehen, hören, halten wieder an. Aber wenn ich ehrlich sein will, sehe ich euch nicht, weil ich eigentlich ständig alleine laufe.
Dienstag, 31. März 2015
Stürmisch, aber Frühling
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Stürmisch, aber Frühling (©Steve_F (wikimedia_commons)) |
Ich bin heute auch beim Bodypainting gewesen. Zwei Krankenschwestern haben mich angemalt, mit roten Stiften und es hat gekitzelt. Also habe ich gekichert. Obwohl ich halbnackt in einer Röhre unter Neonlicht lag, habe ich gekichert. (Übrigens juhuu, die gentests* sind negativ geworden). Jetzt kommen sechs Wochen Bestrahlung, mit Startschuss 14. April. Das ist ein bisschen nervig. Das sie mir keinen früheren Termin geben können. Es nervt, weil ich jetzt zwei Wochen echt auf meine Linien aufpassen muss. Auf die Linien, die roten, die mir die kleinen, blauen Krankenschwestern kreuz und quer über die Brüste gemalt haben. Diese Linien muss man behalten, sie hüten und wenn sie verschwinden wollen, muss man ins Krankenhaus laufen, damit sie wieder nachgezeichnet werden. Bitte, kommen sie auf alle Fälle. Hat der Arzt gesagt, der mich an meinen Schwager erinnert. Blasse Haut, Brille, weißer Kittel, warme Hände, groß. Er spricht sehr langsam. Als ob er jedes Wort noch einmal überlegen müsste, bevor er sie wirklich sagt. Als ob es ihm überhaupt nich auffallen würde, dass er zu langsam redet. Vor allem, wenn man halbnackt ist, im Neonlicht steht, mit der Hand auf der Klinke um sich in der Umkleide wieder anzuziehen. Dann spricht er definitiv viel zu langsam. Nicht nur dass man dabei friert, auch fällt einem ein, dass man – obwohl man eine Glatze hat und mit einem Stift angemalt wurde – noch immer eine Frau ist und vor einem Mann steht der angezogen ist und sich noch paar Mal überlegt, ob er mir den Termin sagen soll oder nicht. Dann habe ich ein bisschen gewartet, mich aber letzendlich angezogen und mir im Flur den Termin geben lassen, mit dem ich danach in den Sturm hinausspaziert bin. Es ist stürmisch auch bei mir. Aber Frühling. Und das gehört nun wirklich-wirklich mir, mit ihren zwitschernden Vögeln, den Knospen in den Parks und den langen Tagen.
* zum gentest in kürze: Zwei Monate habe ich auf die Gentests warten müssen. Gentests um zu zeigen ob ich eine Genmutation habe, die für den Brustkrebs verantwortlich gemacht werden kann, oder nicht. Das ist nicht obligatorisch, man kann es machen oder auch nicht. Die Genmutationen, die sie bei so jungen Frauen testen, heißen BRCA1 und BRCA2, bzw. Chek2. Wenn diese positiv sind, hat man ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, dann wird empfohlen die Brüste präventiv zu amputieren. Und das ist noch die harmlosere Genmutation! Die andere Genmutation trägt den Namen TP53 – wenn dieser im Genpool präsent ist, bedeutet das eine 100 prozentige Krebserkrankung – und zwar kann das überall im Körper auftreten. Dazu kann man präventiv keine Behandlungen durchführen. Also in beiden Fällen, heißt das für mich AUFATMEN – ich habe Brustkrebs nicht vererbt bekommen und kann es auch nicht weitervererben. Juhuhuuuuuu!
Dienstag, 10. März 2015
Normal
Ich bin wieder fast normal. Wenigstens mag ich das über mich glauben. Es ist normal, dass mir die Haare wachsen. Es ist normal, dass meine Nägel wachsen. Es ist normal, dass mein Augenbrauen schwärzer werden. Und doch ist es total außergewöhnlich. Und viel zu langsam. Meine Haare sind ein Dreitagesbart. Meine Nägel wachsen nicht schnell genug um die Hand wieder richtig benutzen zu können. Und obwohl die Augenbrauen schwärzer sind, sind nach der letzten Chemo meine Wimpern ausgefallen. Ich kann meine Wimpern nun zählen, wenn ich wollte. Aber ich traue mich gar nicht.
Letztens saß mir eine Frau gegenüber. Auf ihrem Schoß ein Kind mit blondem Haar, so um die drei Jahre alt. Das Kind sah ernst aus und es schien mir, sie seien irgendwie miteinander verbunden. Nicht nur, wie Mutter und Kind, sondern viel tiefer, ohne Gezanke, ohne Hysterie für Bonbons oder Schokolade oder Ruhigsitzenbleiben - wie das sonst so ist im Bus zwischen Müttern und Kindern. Die Frau war dünn und wie die Sonne so in ihr Gesicht schien, dachte ich mir, sie ist eine Russin, weil sie so dünn ist und weiß und ihre Wimpern so durchsichtig. Es stimmte, sie war Russin, sie sprach mit ihrem Kind, erklärte ihr etwas und das Kind sah mit blauen Augen auf ihre Jacke, an dem ein kleiner Recco-Aufkleber war und spielte damit. Dann zog die Mutter ihre Mütze aus und wir sahen uns in die Augen. Sie hatte auch einen Dreitagesbart am Kopf und ich erwartete mir irgendeine Geste von der Mutter, ein Lächeln, ein Zwinkern, ein "Ichverstehdichgut", aber sie sah wieder aus dem Fenster und erklärte weiter als ob sie nicht bemerkt hätte, dass ich die Gleiche Mütze habe, nur in einer anderen Farbe. Die Chemomütze, bequemer Schnitt, eine Mischung aus Baumwolle und Stretch, nur ich traute sie mir nicht auszuziehen. Nicht im Bus, in vollem Sonnenschein, ohne Wimpern.
Manchmal stört es mich sehr, dass ich wegen den tränenden Augen und fehlenden Wimpern kein Unterschied zwischen einem Alltagsgesicht und einem festlichen Gesicht machen kann. Dass meine Augen so klein geworden sind, dass ich einen Eyeliner gekauft habe, obwohl ich ihn nicht benutzen kann. Weil ich nie in meinem Leben es wirklich konnte. Mir einen Lidstrich auf die Augen zu malen. Nun habe ich es dreimal an drei unterschiedlichen Tagen versucht und jedesmal wieder abgewaschen, weil es aussah als ob mich jemand ins Gesicht geschlagen hätte. Danach versuchte ich mit dem einzigen Lippenstift, den ich gefunden hatte hübsch zu machen. Aber die Farbe - eine Mischung aus Braun und Rot - stand überhaupt nicht. Ich sah aus, wie eine Leiche. Dann probierte ich es mit Ohrringen. Sofort entzündete sich mein Ohr. Dann band ich mir ein Tuch statt der ewigen Kombination von Baumwollmütze und Wollmütze um meinen Kopf und endlich, endlich, endlich empfand ich etwas nahe dazu, was ich jeden Tag fühlen möchte: Zufriedenheit mit meinem Spiegelbild. Was hinter meinem Spiegelbild sonst noch abläuft, ist wirklich nicht einfach zu sagen. Ich heule den Mond an in Pyjamas und schmeiße Popcornschalen gegen die Wand, gebe Zettel auf der Humangenetik ab und sitze im Bus und glaube, mich verbindet etwas mit einer dünnen Russin, aber die hat keine Augen, bzw. ihre Augen sind besetzt, für sich und ihr Kind und ich gehe morgen in die Klinik und lasse mir wieder Dinge sagen, von denen ich entweder besser gelaunt werde oder schlechter. Das ist normal.
Letztens saß mir eine Frau gegenüber. Auf ihrem Schoß ein Kind mit blondem Haar, so um die drei Jahre alt. Das Kind sah ernst aus und es schien mir, sie seien irgendwie miteinander verbunden. Nicht nur, wie Mutter und Kind, sondern viel tiefer, ohne Gezanke, ohne Hysterie für Bonbons oder Schokolade oder Ruhigsitzenbleiben - wie das sonst so ist im Bus zwischen Müttern und Kindern. Die Frau war dünn und wie die Sonne so in ihr Gesicht schien, dachte ich mir, sie ist eine Russin, weil sie so dünn ist und weiß und ihre Wimpern so durchsichtig. Es stimmte, sie war Russin, sie sprach mit ihrem Kind, erklärte ihr etwas und das Kind sah mit blauen Augen auf ihre Jacke, an dem ein kleiner Recco-Aufkleber war und spielte damit. Dann zog die Mutter ihre Mütze aus und wir sahen uns in die Augen. Sie hatte auch einen Dreitagesbart am Kopf und ich erwartete mir irgendeine Geste von der Mutter, ein Lächeln, ein Zwinkern, ein "Ichverstehdichgut", aber sie sah wieder aus dem Fenster und erklärte weiter als ob sie nicht bemerkt hätte, dass ich die Gleiche Mütze habe, nur in einer anderen Farbe. Die Chemomütze, bequemer Schnitt, eine Mischung aus Baumwolle und Stretch, nur ich traute sie mir nicht auszuziehen. Nicht im Bus, in vollem Sonnenschein, ohne Wimpern.
Manchmal stört es mich sehr, dass ich wegen den tränenden Augen und fehlenden Wimpern kein Unterschied zwischen einem Alltagsgesicht und einem festlichen Gesicht machen kann. Dass meine Augen so klein geworden sind, dass ich einen Eyeliner gekauft habe, obwohl ich ihn nicht benutzen kann. Weil ich nie in meinem Leben es wirklich konnte. Mir einen Lidstrich auf die Augen zu malen. Nun habe ich es dreimal an drei unterschiedlichen Tagen versucht und jedesmal wieder abgewaschen, weil es aussah als ob mich jemand ins Gesicht geschlagen hätte. Danach versuchte ich mit dem einzigen Lippenstift, den ich gefunden hatte hübsch zu machen. Aber die Farbe - eine Mischung aus Braun und Rot - stand überhaupt nicht. Ich sah aus, wie eine Leiche. Dann probierte ich es mit Ohrringen. Sofort entzündete sich mein Ohr. Dann band ich mir ein Tuch statt der ewigen Kombination von Baumwollmütze und Wollmütze um meinen Kopf und endlich, endlich, endlich empfand ich etwas nahe dazu, was ich jeden Tag fühlen möchte: Zufriedenheit mit meinem Spiegelbild. Was hinter meinem Spiegelbild sonst noch abläuft, ist wirklich nicht einfach zu sagen. Ich heule den Mond an in Pyjamas und schmeiße Popcornschalen gegen die Wand, gebe Zettel auf der Humangenetik ab und sitze im Bus und glaube, mich verbindet etwas mit einer dünnen Russin, aber die hat keine Augen, bzw. ihre Augen sind besetzt, für sich und ihr Kind und ich gehe morgen in die Klinik und lasse mir wieder Dinge sagen, von denen ich entweder besser gelaunt werde oder schlechter. Das ist normal.
Samstag, 14. Februar 2015
Liste
Ich habe gerade aufgelegt auf Skype. Mein Vater und meine Stiefmutter sagten durch den Bildschirm, gib nicht auf. Wenn ich schlechtgelaunt bin, wenn mein Arm anschwillt, wenn mein Bein anschwillt und sich die Nägel langsam von den Finger trennen, denke ich mir warum sollte ich nicht aufgeben. Auch jetzt, wo doch das schlimmste eigentlich vorbei ist, könnte ich aufgeben. Jederzeit kann man aufgeben, aber wenn man leben will, sollte man es nicht tun. Ich mag nicht aufgeben. Wenn wieder alles viel zu viel wird, dann bin ich einfach schlecht gelaunt und lasse meine Laune, wie einen wilden Hund auf meine Familie los. Obwohl sie für nichts können. Ich bin unfair mit C., ich werfe ihm Egoismus vor – ein großer Doberman, der aus C. ein Stück herausbeißt, aus seiner Geduld, aus seiner Liebe, dann bin ich unfair mit meinem Vater und werfe ihm Dinge an den Kopf, die ich nicht einmal überlegt habe, die mir zwischen den Zähnen hervorspringen und ihn am Nacken beißen, damit es auch ihm wehtut. Oder ich weiß nicht, warum ich es tue.
Heute bin ich zu meinem Leseplatz gegangen, oberhalb der Klamm – auf der grünen Bank im Wald scheint die Sonne am Längsten. Ich saß dort und sah auf Völs, auf Kranebitten, auf den Inn, auf die Lizum, auf den Himmel und dachte mir, was für ein herrlicher Tag und dann ging alles schief. Ein Paar Bemerkungen, ein Paar schlechte Gedanken, ein hängengebliebener Nagel oder eine kalte Brise – mich macht im Moment ganz viel und ganz schnell schlechtgelaunt. Dazu, dass ich wegen der Schwellungen meinen Arm kaum biegen kann und jetzt habe ich bemerkt, auch mein linkes Bein kann ich kaum bewegen. Auch dieser ist geschwollen. Lymphödem, das Lymphsystem kann nur schlecht arbeiten, das "Wasser" bleibt in den Gelenken hängen und man bekommt "Babyhände", wie gepolstert und unwahrscheinlich rund. Ich denke mir wirklich, wie kann aus einem Menschen auf einmal etwas so komisches werden. Als ob aus wenig auf einmal viel geworden wäre – ich weiß gar nicht, wie das sein kann. Wie der Körper das macht, dass er von einem Moment auf den anderen einfach aufschwillt. So viele Fragen, so wenig tatsächliches Wissen und ich weigere mich das Internet zu recherchieren. Das hat auch seine Gründe.
Ich saß also dort auf der grünen Bank, mit ganz viel Geduld im Bauch und in der Brust und hörte das Radio und hörte einem Mönch zu, der über Dankbarkeit sprach und über seine Jugend in Hitler-Österreich und darüber, dass man aus allem lernen kann. Auch wenn man für eine Krankheit nicht per se dankbar sein kann, kann man dafür dankbar sein, was man daraus lernen kann. Ja, man könnte auch dafür dankbar sein, aber vorher fällt mir noch anderes ein, für was ich dankbar sein möchte.
Hier also eine Dankbarkeits-Liste:
- Ich bin C. dankbar, weil er neben mir steht, obwohl das überhaupt nicht selbstverständlich ist. Er macht mir Abendessen und er kauft ein, er wascht die Teller und bereitet mir eine "Spezialmilch" zum Einschlafen und er zieht mich auf der Rodel den Berg hinauf, wie ein Pferd und er sieht mich mit Augen an, die sagen, dass ich auch aufgeschwollen, mit Glatze und tränenden Augen, eiterigen Fingernägeln und tropfender Nase, die schönste Frau auf Erden bin.
- Ich bin meiner Familie dankbar, weil sie mir ungeschönt ihre Meinung sagen, weil ich spüre, dass sie auch aus so viel Entfernung an mich denken, um mich bangen und ihre Zeit und ihr Geld für mich opfern würden, wenn ich sie dafür fragen würde.
- Ich bin meinen Freundinnen und Freunden dankbar, weil sie die Verknüpfung zur Realität sind, mich anrufen, mir schreiben, manche beten, andere denken an mich, sie halten mich am Boden, sind meine Wurzeln. "Viele drücken dir die Daumen" – sagte mein Vater letztens und der Gedanke tut sehr gut.
- Ich bin den vielen unbekannten Menschen dankbar, die für
mich Geld gesammelt haben, damit ich auswählen kann, mit welcher
alternativen Methode ich wieder gesund werde. Das Gefühl hat mich ein bisschen überrumpelt um ehrlich zu sein und ich weiß gar nicht, was ich mit dem Geld machen soll.
- Ich bin der Sonne dankbar, weil wenn sie scheint, kann ich sogar meine zwei Mützen im Wald sitzend ausziehen, ohne zu frieren, und das ist ein wirklich schönes Gefühl.
Tatsächlich wäre die Dankbarkeits-Liste sehr lang und deswegen höre ich hier auf, weil durch das Schreiben habe ich jetzt das Gefühl bekommen, welches ich gesucht habe: Den Willen geduldig zu sein und noch ein bisschen weiter darauf zu warten, dass die Nägel wieder wachsen, dass die Schwellungen verschwinden und dass mein Leben, mein Körper und meine Welt wieder ganz
normal wird.
Heute bin ich zu meinem Leseplatz gegangen, oberhalb der Klamm – auf der grünen Bank im Wald scheint die Sonne am Längsten. Ich saß dort und sah auf Völs, auf Kranebitten, auf den Inn, auf die Lizum, auf den Himmel und dachte mir, was für ein herrlicher Tag und dann ging alles schief. Ein Paar Bemerkungen, ein Paar schlechte Gedanken, ein hängengebliebener Nagel oder eine kalte Brise – mich macht im Moment ganz viel und ganz schnell schlechtgelaunt. Dazu, dass ich wegen der Schwellungen meinen Arm kaum biegen kann und jetzt habe ich bemerkt, auch mein linkes Bein kann ich kaum bewegen. Auch dieser ist geschwollen. Lymphödem, das Lymphsystem kann nur schlecht arbeiten, das "Wasser" bleibt in den Gelenken hängen und man bekommt "Babyhände", wie gepolstert und unwahrscheinlich rund. Ich denke mir wirklich, wie kann aus einem Menschen auf einmal etwas so komisches werden. Als ob aus wenig auf einmal viel geworden wäre – ich weiß gar nicht, wie das sein kann. Wie der Körper das macht, dass er von einem Moment auf den anderen einfach aufschwillt. So viele Fragen, so wenig tatsächliches Wissen und ich weigere mich das Internet zu recherchieren. Das hat auch seine Gründe.
Ich saß also dort auf der grünen Bank, mit ganz viel Geduld im Bauch und in der Brust und hörte das Radio und hörte einem Mönch zu, der über Dankbarkeit sprach und über seine Jugend in Hitler-Österreich und darüber, dass man aus allem lernen kann. Auch wenn man für eine Krankheit nicht per se dankbar sein kann, kann man dafür dankbar sein, was man daraus lernen kann. Ja, man könnte auch dafür dankbar sein, aber vorher fällt mir noch anderes ein, für was ich dankbar sein möchte.
Hier also eine Dankbarkeits-Liste:
- Ich bin C. dankbar, weil er neben mir steht, obwohl das überhaupt nicht selbstverständlich ist. Er macht mir Abendessen und er kauft ein, er wascht die Teller und bereitet mir eine "Spezialmilch" zum Einschlafen und er zieht mich auf der Rodel den Berg hinauf, wie ein Pferd und er sieht mich mit Augen an, die sagen, dass ich auch aufgeschwollen, mit Glatze und tränenden Augen, eiterigen Fingernägeln und tropfender Nase, die schönste Frau auf Erden bin.
- Ich bin meiner Familie dankbar, weil sie mir ungeschönt ihre Meinung sagen, weil ich spüre, dass sie auch aus so viel Entfernung an mich denken, um mich bangen und ihre Zeit und ihr Geld für mich opfern würden, wenn ich sie dafür fragen würde.
- Ich bin meinen Freundinnen und Freunden dankbar, weil sie die Verknüpfung zur Realität sind, mich anrufen, mir schreiben, manche beten, andere denken an mich, sie halten mich am Boden, sind meine Wurzeln. "Viele drücken dir die Daumen" – sagte mein Vater letztens und der Gedanke tut sehr gut.

- Ich bin der Sonne dankbar, weil wenn sie scheint, kann ich sogar meine zwei Mützen im Wald sitzend ausziehen, ohne zu frieren, und das ist ein wirklich schönes Gefühl.
Tatsächlich wäre die Dankbarkeits-Liste sehr lang und deswegen höre ich hier auf, weil durch das Schreiben habe ich jetzt das Gefühl bekommen, welches ich gesucht habe: Den Willen geduldig zu sein und noch ein bisschen weiter darauf zu warten, dass die Nägel wieder wachsen, dass die Schwellungen verschwinden und dass mein Leben, mein Körper und meine Welt wieder ganz
normal wird.
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