Heute bin ich zu meinem Leseplatz gegangen, oberhalb der Klamm – auf der grünen Bank im Wald scheint die Sonne am Längsten. Ich saß dort und sah auf Völs, auf Kranebitten, auf den Inn, auf die Lizum, auf den Himmel und dachte mir, was für ein herrlicher Tag und dann ging alles schief. Ein Paar Bemerkungen, ein Paar schlechte Gedanken, ein hängengebliebener Nagel oder eine kalte Brise – mich macht im Moment ganz viel und ganz schnell schlechtgelaunt. Dazu, dass ich wegen der Schwellungen meinen Arm kaum biegen kann und jetzt habe ich bemerkt, auch mein linkes Bein kann ich kaum bewegen. Auch dieser ist geschwollen. Lymphödem, das Lymphsystem kann nur schlecht arbeiten, das "Wasser" bleibt in den Gelenken hängen und man bekommt "Babyhände", wie gepolstert und unwahrscheinlich rund. Ich denke mir wirklich, wie kann aus einem Menschen auf einmal etwas so komisches werden. Als ob aus wenig auf einmal viel geworden wäre – ich weiß gar nicht, wie das sein kann. Wie der Körper das macht, dass er von einem Moment auf den anderen einfach aufschwillt. So viele Fragen, so wenig tatsächliches Wissen und ich weigere mich das Internet zu recherchieren. Das hat auch seine Gründe.
Ich saß also dort auf der grünen Bank, mit ganz viel Geduld im Bauch und in der Brust und hörte das Radio und hörte einem Mönch zu, der über Dankbarkeit sprach und über seine Jugend in Hitler-Österreich und darüber, dass man aus allem lernen kann. Auch wenn man für eine Krankheit nicht per se dankbar sein kann, kann man dafür dankbar sein, was man daraus lernen kann. Ja, man könnte auch dafür dankbar sein, aber vorher fällt mir noch anderes ein, für was ich dankbar sein möchte.
Hier also eine Dankbarkeits-Liste:
- Ich bin C. dankbar, weil er neben mir steht, obwohl das überhaupt nicht selbstverständlich ist. Er macht mir Abendessen und er kauft ein, er wascht die Teller und bereitet mir eine "Spezialmilch" zum Einschlafen und er zieht mich auf der Rodel den Berg hinauf, wie ein Pferd und er sieht mich mit Augen an, die sagen, dass ich auch aufgeschwollen, mit Glatze und tränenden Augen, eiterigen Fingernägeln und tropfender Nase, die schönste Frau auf Erden bin.
- Ich bin meiner Familie dankbar, weil sie mir ungeschönt ihre Meinung sagen, weil ich spüre, dass sie auch aus so viel Entfernung an mich denken, um mich bangen und ihre Zeit und ihr Geld für mich opfern würden, wenn ich sie dafür fragen würde.
- Ich bin meinen Freundinnen und Freunden dankbar, weil sie die Verknüpfung zur Realität sind, mich anrufen, mir schreiben, manche beten, andere denken an mich, sie halten mich am Boden, sind meine Wurzeln. "Viele drücken dir die Daumen" – sagte mein Vater letztens und der Gedanke tut sehr gut.

- Ich bin der Sonne dankbar, weil wenn sie scheint, kann ich sogar meine zwei Mützen im Wald sitzend ausziehen, ohne zu frieren, und das ist ein wirklich schönes Gefühl.
Tatsächlich wäre die Dankbarkeits-Liste sehr lang und deswegen höre ich hier auf, weil durch das Schreiben habe ich jetzt das Gefühl bekommen, welches ich gesucht habe: Den Willen geduldig zu sein und noch ein bisschen weiter darauf zu warten, dass die Nägel wieder wachsen, dass die Schwellungen verschwinden und dass mein Leben, mein Körper und meine Welt wieder ganz
normal wird.