Sonntag, 18. November 2012

Haymon hat dreißig

Wenn man dreißig wird, ist das sicherlich sehr schön. Man sollte schon etwas erreicht haben. Eine Eigentumswohnung besitzen, eine langfristige Beziehung haben, möglichst wenige Falten, gar keine Pickel und man sollte auch nicht mehr so oft saufen gehen und statt dessen daran denken, wie und wann man am besten die Kinder machen soll, wie man den Bauchspeck wegkriegt und sich möglichst wenig Gedanken darüber machen, dass man mit zwanzig weniger Luft schnappen musste, wenn man den Klettersteig ging als heute. Ein Bausparvertrag ist natürlich unumgänglich, ein Paar Krawatten und mindesten ein Anzug in dem man zu Bewerbungsgespräche geht. 
Bei dreißig wird dann noch einmal gefeiert, es wird gesungen und geweint, kaum jemand lässt eine Dreißiger-Party aus. Und doch ist es nicht nur Trubel und Jubel, es ist auch eine Möglichkeit zum Rückblick, die genutzt werden kann, auch wenn man nie ein hält. Auch, wenn man der Typ ist der die Vergangenheit im Sekundentakt vergißt, weil man so konzentriert die Zukunft erobert. Auch die schauen mal, was sie gemacht haben, was sie sich vorgestellt haben und was sie jetzt eigentlich von ihren Träumen trennt. 

Ja, ein Verlag macht das auch nicht anders. Es ist geboren, aus Buchstabengewirbel und Leidenschaft, Lektoren, Verleger und einigen Schillingscheinen und hat sich schön langsam seinen Weg gemeistert in der Welt der Verlage. Sicherlich selbst mit seinen Pickeln gekämpft und ab und zu die falschen Partner ausgewählt, aber immer größer geworden und stärker und jetzt können sich sogar die Innsbrucker Lesewürmer kaum noch vorstellen, dass es vor einunddreißig Jahren noch keinen Haymon-Verlag gab. 
Jetzt hat er das schönste Büchergeschäft in Österreich - laut Bücher über schöne Büchergeschäfte - und die beste Literatur und ist authentisch und fantasievoll und ist in Innsbruck und das macht sowieso stolz. Sogar mich macht das stolz, obwohl ich nicht aus Innsbruck bin, aber auch noch nie in einer Stadt gelebt habe, in der man einen Verlag hat, einen schönen und großen und seriösen, auf den man nun stolz sein kann. 

Bei der Feier war ich auch dabei, aus Zufall, als Outsider der Insider sein wollte. Natürlich geht das nicht so. Man kann nicht feiern mit einem Verlag, der schon erreicht hat, was er wollte. Der ist so zu und der ist so klug und so schön und so alles, dass man sich beinahe schämt dabei zu sein. Aber das macht nichts, man schämt sich eh viel zu oft (andere zu wenig), warum sollte das hier anders sein und man versteckt sich im vierten Weinsauer und in den kleinen Leckerbissen und man bedient sich mit Schokoladekuchen und bekommt den Buchstaben "N" - groß und rot - und man denkt sich sofort, ach bist du eine Niete, weil hier bist du endlich in diesem geilen Verlag, mit all den Lektoren und Literaturvermittlern und -machern und -liebhabern und doch sitzt du in der Ecke und meinst, dass jemand deine Gedanken lesen kann, zu dir kommt und sagt: Hej, willst du dein Roman drucken lassen?, du bist doch sicher Schriftsteller und komm, das wird toll, dein Name wird auf den Büchern stehen und unten unser Verlag, Haymon.

Ja, es ist nicht einfach, denn obwohl der Haymon Verlag dreißig Jahre hat, seine Kinder geboren und gut untergebracht, Anzüge bis zum geht nicht mehr im Schrank, kann er noch immer nicht alle Gedanken lesen und dann werde ich auf einmal selbst dreißig und muss mir überlegen, was mich von meinen Träumen trennt und das will ich nicht, weil ich so einer bin, der nicht nacht hinten schaut, sondern nach vorne und solcher der seine Sekunden vergisst, wenn sie passiert sind und solch einer, der sich Bücherverläge wünscht, die Gedanken lesen - und nicht nur drucken - können.

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